Umweltmedizin in Deutschland Teil 5: Situation Umwelterkrankter aus der Sicht eines Umweltmediziners

Die Resonanz der Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung und des Ministeriums für Gesundheit auf die Nachfrage der Gründe für die Beendigung der Umweltmedizin-Vereinbarung war für Patienten wie auch Umweltärzte wenig befriedigend. Auf die Antwort der Barmer Hauptverwaltung in Nordrhein schrieb Dr. Peter Ohnsorge, Präsident der Europaem – Europäische Akademie für Umweltmedizin e.V. und Vorstandsmitglied des dbu – Deutschen Berufsverbandes der Umweltmediziner e.V., nachfolgende Stellungnahme, in der die tatsächliche Situation der Umweltkranken in Deutschland sehr deutlich zum Ausdruck kommt.

Am 24.01.09 schrieb Dr. Peter Ohnsorge / Europaem

Sehr geehrte Frau Müller,

das ist mal wieder eine der Computersätze strotzenden Antworten der gesetzlichen Krankenkassen!

In Wirklichkeit ziehen sich alle Krankenkassen weiterhin auf eine Basisversicherung zurück und lassen Sie als Umwelt geschädigten Patienten im eiskalten Regen stehen. Die unter Absatz 2 blumig ausgeführten Irreleitungen der Krankenkasse ist ein Hohn! De facto ist eine umweltmedizinische Diagnostik und Therapie nicht Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen! Man hat das geschickt gelöst, indem man Umwelt verursachte Erkrankte bewusst in den diffusen Bereich der Psychosomatik oder gar sogar der Psychiatrie abschiebt. Das wohlwissend, dass es keinen wissenschaftlich haltbaren Beweis einer psychosomatischen oder psychiatrischen Ursache dieser Krankheitsbilder gibt. Bisher sind unseres Wissens nach lediglich beschreibende Diagnosen und Verlaufsbeobachtungen von psychosomatischen Therapien veröffentlicht worden.

Zwei Aspekte sind dabei dramatisch:

  • Zum Einen wird vermeintlich eine nicht ausreichende und uneffektive Therapie angeboten oder auch sogar teilweise erzwungen. Eine psychosomatische Therapie kann durchaus eine momentane symptomatische Hilfestellung darstellen, wenn es sich um Verhaltenstherapie handelt. Eine ursächliche Behandlung wird damit aber nicht durchgeführt! Der Krankheitsprozess wird nicht gestoppt oder zur Gesundung geführt. Das Leiden geht weiter!
  • Zum Anderen wird wertvolle Zeit verstreichen, bis die ursächliche Kontaktunterbrechung zu den Krankheitsverursachern veranlasst wird. Die ursächliche Kontaktunterbrechung ist zwingend notwendig, um den ersten und wichtigsten Schritt der Therapie einer solchen Erkrankung einzuleiten. Eine psychiatrische Therapie hat zudem das Potential, die Erkrankung sogar noch zu verschlimmern. Psychopharmaka konkurrieren meist in den Stoffwechselwegen mit der Entgiftung von Schadstoffen oder blockieren diese Stoffwechselwege manchmal sogar. Damit wird möglicherweise eine Gesundung erheblich abgebremst.

Die klinisch praktizierende Umweltmedizin hat, entgegen der plakativ immer wieder aufgeführten Fehlinformation von Seiten des sogenannten „wissenschaftlichen Mainstreams“, inzwischen ausreichend wissenschaftlich basierte Erkenntnisse und die darauf aufbauende jahrelange klinisch praktizierte Erfahrung, diese Umwelt induzierten Erkrankungen zu diagnostizieren und zu therapieren! Alle Sozialversicherungsträger sollten sich endlich der Erkenntnis öffnen, dass es allemal effektiver, caritativer und vor allem langfristig versicherungs- sowie volkswirtschaftlich sinnvoller ist, erkannte Erkrankungsursachen anzugehen und rechtzeitig auf der Basis diagnostisch abgesicherten Erkenntnisse zu therapieren.

In Anbetracht der demoskopischen Entwicklung in unserer Bevölkerung mit der ausufernden Alterungspyramide mit synchronem Anwachsen chronischer Erkrankungen und auch zunehmender Umwelt verursachter Erkrankungen können nur die Gesundheitssysteme weiter existieren, die rechtzeitig primäre Präventionsmaßnahmen starten und dauerhaft umsetzen. Dazu sind die langjährigen Erfahrungen und Erkenntnisse der klinisch praktizierenden Umweltmedizin hilfreich.

Zur Bewältigung von chronischen Multisystem Erkrankungen, zu denen auch die Umwelterkrankungen gehören, müssen wir in unserem ärztlichen Handeln weniger den linear kausalen Weg der allein an Hochschulen orientierten Medizin verfolgen. Auch können nicht mehr die gängige Richt- und Grenzwertorientierung der Toxikologie und Arbeitsmedizin als einzige Grundlage umweltmedizinischer Entscheidungen akzeptiert werden. In der gängigen Abschätzung von Umwelt verursachten Erkrankungen fehlen die Beachtung u. a. immunologischer und teilweise auch endokriner Aspekte. Wir stehen komplexen Erkrankungen gegenüber, die wir in komplexer Diagnostik und Therapie bearbeiten müssen. In der Umweltmedizin beachten wir dabei besonders

  • die multifaktorielle Belastung,
  • die Langzeitbelastung im Niedrigdosisbereich, die zu erheblichen Kumulationseffekten  führen kann,
  • sowie die individuelle Suszeptibilität, in die Vorerkrankungen, Multimorbidität, der Genderaspekt und die individuelle Vulnerabilität genauso hineingeht, wie genetische Polymorphismen.

Das alles, einschließlich der Notwendigkeit primär präventive Strategien zu entwickeln, haben wir in den letzten Jahren bereits mehrfach mit nationalen und europäischen Politikern diskutiert und zunehmend Gehör gefunden, zuletzt auf Einladung des European Council im Europaparlament in der „Conference on Environment and Health, Indoor Pollution and Multi System Illnesses“, November 2008.

Zum Schluss noch die schmerzliche Wahrheit des Krankenkassenwesen 2009!

In Bayern bekomme ich von der gesetzlichen Krankenkasse als niedergelassener HNO-Arzt (Zusatzbezeichnung bedeuten keine Modulation der Gebühren) beim ersten Patientenkontakt 12,40 €, was in der zugedachten Zeiteinheit von 8 Minuten noch nicht einmal meine Praxiskosten deckt. Beim Zweitkontakt ist für die Dauer eines Quartals keine weitere Vergütung vorgesehen, es sei denn ich setze Diagnostik an. Ein Allergietest oder eine übliche Hörtestung überschreitet aber dann schon die definierte Quartalsgesamtvergütung von 33,60 € Wie glauben Sie, kann ich unabhängig von den laufenden Praxiskosten in der zeitlichen Vorgabe von 8 Minuten Patientenkontakt für 12€ an Umweltanamnese geschweige denn an differentialdiagnostischen Erwägungen und therapeutischen Aufklärungsgesprächen durchführen, sodass mir für meine Arbeit zumindest noch ein minimaler Erlös bleibt?

Die Honorarvergütung war schon jahrelang in der Kassenpraxis nicht kostendeckend und musste Praxis intern ständig aus den Liquidationen von Privatpatienten subventioniert werden. Mit der neuen Gebührenordnung sind jedoch in diesem Jahr zusätzliche erhebliche Honorareinbußen verordnet worden. Sie werden es sicher in der Presse verfolgt haben. Das trifft natürlich besonders die letzten Kassenarztpraxen, die bisher zumindest was möglich war noch kassentechnisch abgewickelt haben. Die politisch plakativ gern immer wieder geforderte „sprechende Medizin“ ist in Wirklichkeit nicht gewollt. Aber ohne umfangreiche Anamnese ist jede fundierte Umweltmedizin uneffektiv. Die Folge wird sein, dass nicht nur, wie bisher teilweise, sondern zukünftig die gesamte Umweltmedizin in den Bereich der sogenannten „Individuellen Gesundheitsleistung (IGeL)“ verschoben wird. IGeL bedeutet, dass Leistungen nach der  privatärztlichen Gebührenordnung abgerechnet werden. Wir Umweltmediziner können aber nach dem erheblichen Einbruch der allgemeinen ärztlichen Vergütung jetzt keine Leistungen mehr umsonst anbieten.

Hier muss mit den gesetzlichen Krankenkassen endlich ein gangbarer Weg gefunden werden. Es ist denkbar und zu hoffen, dass die explodierende Veränderung im Gesundheitswesen dafür in Zukunft wieder gangbare Wege finden wird. Wir als national und in Europa tätigen umweltmedizinischen Fachverbände, Deutscher Berufsverband der Umweltmediziner und European Academy for Environmental Medicine, werden uns dafür einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Peter Ohnsorge

Autor: Silvia K. Müller, CSN – Chemical Sensitivity Network, 27.02.2009

Fortsetzungsserie: Umweltmedizin in Deutschland

3 Kommentare zu “Umweltmedizin in Deutschland Teil 5: Situation Umwelterkrankter aus der Sicht eines Umweltmediziners”

  1. Henriette 1. März 2009 um 10:26

    Danke für diesen kritischen Blogbeitrag, der den tatsächlichen Stand der medizinischen Versorgung von Umweltpatienten zum Ausdruck bring.

    Allerbesten Dank an Dr. Ohnsorge und an Dich Silvia, für all die viele Mühe. Das Thema Umweltmedizin ist ein äußerst wichtiges Thema und wird dermaßen auf´s Abstellgleis abgeschoben und vom so hochgejubelten deutschen Gesundheitssystem völlig ausgeklammert. Und das in einer Zeit, in der gesundheitsschädigende Umweltfaktoren nicht gerade eine Seltenheit sind . Kaum zu glauben aber leider traurige Realität, um so wichtiger finde ich die Serie rund um die Umweltmedizin in Deutschland.

    Herzliche Grüsse
    Henriette

  2. Morlock 22. März 2009 um 22:41

    Besten Dank an Herrn Dr. Ohnsorge wie auch an Dich Silvia, dass mit diesem Blog die völlig unzureichende Situation der umweltmedizinischen Versorgung in Deutschland dargestellt wird. Es ist erschreckend und nicht hinnehmbar, wie man Umweltkranke förmlich im Regen stehen lässt, während unsere Politiker im Wahljahr 2009 munter daran arbeiten, den Nichtraucherschutz weiter zurückzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Zahl weiterer Umwelterkrankten auch zukünftig munter ansteigen wird.

    Als ich das vorhin gelesen habe, dachte ich, das darf doch nicht wahr sein.

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/03/18/rauchverbot-in-rheinland-pfalz-wird-gelockert-verantwortungslos/

    http://www.csn-deutschland.de/blog/2009/03/16/weitere-lockerung-des-nichtraucherschutzes-in-hessen-voll-daneben/

    Das muss man sich wirklich einmal vor Augen halten, Umweltkranke werden abgeschoben und vergessen und das bißchen Lebensqualität, dass mancher von uns die letzen Monate hinzugewonnen hat, nämlich die Möglichkeit ab und zu mal ohne Zigarettenqalm irgendwo einen Happen zu essen, zerplatzt nun wieder wie eine Seifenblase.

    Super Gesundheitspolitik, klasse Gesundheitssystem, praktisch nur für Gesunde!!!

  3. Eric 5. Mai 2009 um 22:23

    Therapie für Umweltkranke wie Chemikaliensensible ist ein großes Manko, denn es findet fast keine Behandlung der Schwerkranken statt, wie ich aus eigener leidlicher Erfahrung nur bestätigen kann. Dass sogar Umweltmediziner wie Dr. Ohnsorge, diesen Mißstand beim Namen nennen, aber seitens der Krankenkassen nichts passiert und wir MCS Patienten weiter sehen müssen, wie wir überleben, ist unglaublich, aber bittere Realität, im Dasein von MCS-Kranken Menschen.

    Die Umweltmedizin ist in Deutschland sozusagen das Stiefkind im Gesundheitssystem.

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