Monatsarchiv für April 2012

In Berlin keine Ärzte, die MCS diagnostizieren können?

Alleingelassen mit Allergien und MCS

Als ich noch ein Kind war, wurde ich 8 Jahre lang von meinem Hausarzt gegen Heuschnupfen sensibilisiert. Ohne Erfolg.

Meine Mutter ließ sich scheiden, als ich 6 war, und immer wenn ein Brief vom Anwalt kam, artete das in Putzorgien aus. Immer wenn das Haus nach Chemie roch, war ich krank und meine Mutter, mein Bruder und ich schoben das auf den Heuschnupfen. Wenn man morgens aufsteht und zwanzig Mal niest, ist man ziemlich K.O. und legt sich wieder hin. Damit war das Thema eigentlich immer abgehakt. In der Schule und bei meiner Familie galt ich irgendwann als faul und irgendwann schickte mich meine Mutter zum Psychologen, weil sie glaubte, dass ich einfach nicht will oder Probleme mit der Scheidung habe. Der stellte aber nichts dergleichen fest und schloss aus meinem hohen IQ, dass ich vielleicht einfach unterfordert bin.

Als ich 2007 mit einem Bandscheibenvorfall ins Krankenhaus kam, saß ich mit kurzen Hosen auf einem Bettlaken aus Baumwolle. Als ich der Krankenschwester zeigte, dass auf einmal meine Beine total rote Pusteln haben, tauschte sie das Laken gegen ein Plastiklaken aus und sagte mir, dass es an dem chemischen Waschmittel liegen kann, was dort verwendet wird.

2009 war ich bei einem Allergologen, der mal wieder nachschauen sollte, wie es um meinen Heuschnupfen steht. Als er die Pollen auf den kleinen Ritzer in den Kreisen auf meinem Arm auftrug, wurde der so dick, dass mir die Arzthelferin sagte, sie kann aus den Beulen nichts mehr erlesen. Man gab mir eine Cortisonspritze und der Arm schwoll ab.

2010 hatte ich noch einen zweiten Bandscheibenvorfall. Diesmal saß ich mit langen Hosen auf der Liege mit dem Baumwolllaken, aber als mir die Nadel vom Tropf in den Arm gestochen wurde, hatte ich wieder Pusteln am Arm. Das hörte auch nicht auf, als man mir ein Pflaster aufklebte. Ich ging immer davon aus, dass ich einfach gegen alles allergisch bin. Mein Allergologe sagte mir, dass ich am besten in einem gekachelten Raum wohnen sollte.

2012 ging ich dann wieder zum Allergologen und mein Arm wurde wieder so dick, dass der Arzt den Allergiebogen nicht ausfüllen konnte. Hinzu kam, dass ich dauernd Atemprobleme hatte, ich wurde sogar mal in die Charité eingeliefert und eine Nacht lang beatmet.

Irgendwann dieses Jahr kam dann ein Bericht im Fernsehen über MCS – Multiple Chemical Sensitivity. Eine Frau lief dauernd mit Atemmaske herum, klappte immer wieder zusammen und zuhause durften nur Freunde ihre Tochter besuchen, wenn sie vorher geduscht hatten und nicht nach Parfüm oder Deo rochen.

Da wurde mir einiges klar. Ich bekomme bei starker Geruchsbelästigung nämlich immer Würgeanfälle bis hin zum Erbrechen. Egal ob nun jemand richtig schlimm aus dem Mund, nach After Shave oder nach Rauch riecht oder ob jemand nur in der U-Bahn am anderen Ende des Wagons eine Banane isst, es macht mir so zu schaffen, dass ich immer versuche, meinen Würgereiz zu unterdrücken oder mit zugehaltener Nase in der U-Bahn sitze. Und man kennt das, wenn es peinlich ist, sich richtig die Nase zuzuhalten und man versucht, das zu vertuschen, indem man gleichzeitig den Kopf auf die Hand aufstützt.

Als ich diesen Beitrag im Fernsehen gesehen hatte, las ich in vielen MCS Foren über die Symptome und die Zusammenhänge und musste leider auch feststellen, dass alle ein bisschen was wissen, aber keiner weiß was Konkretes. Vor allem als ich nach Ärzten fragte, die das diagnostizieren können, stieß ich auf Widerstände. Einige Vereine wollten mich erstmals als Mitglied aufnehmen, um mir Arztadressen zu geben. Das geht aber sowieso nicht, wenn man von Arbeitslosengeld II lebt. Außerdem gibt es offensichtlich keine Ärzte in Berlin. Also wandte ich mich an die Kassenärztliche Vereinigung, die Krankenkasse, die unabhängige Patientenberatung, ich schrieb in Foren und fragte alle Ärzte in meinem Umfeld. 10 Ärzte tauchten immer wieder in Mails von MCS Betroffenen und Foren auf. Die klapperte ich ab. 10 weitere nannten mir die KVB, die AOK, die UPB. Ich bin immer direkt hingefahren und habe mit den Ärzten gesprochen, denn die Vorzimmerdamen wissen meistens nichts und kennen nicht mal den Namen der Krankheit.

Ein Arzt erklärte mir heute, dass die Krankenkassen nur 100,- Euro für die Erstdiagnose und Beratung bezahlen. Und für die 100,- Euro soll der Arzt eine genaue Diagnose erstellen und eine Substanz im Körper nachweisen, die mit so vielen Stellen nach dem Komma (0,000097) natürlich extrem ungenau ist. Das will kein Arzt und deswegen beschäftigt sich kein Arzt damit.

Dann wurde mir noch ein Arzt in Rostock genannt. Und wie das so ist mit Hartz4, ich habe kein Geld um mein Handy aufzuladen. Also habe ich dem Mann eine Email geschrieben. Prompt kam eine Mail zurück „Email konnte nicht zugestellt werden. Email Adresse ist nicht vorhanden.“ Aber egal. Ich kann es mir eh nicht leisten, nach Rostock zu fahren.

Also was nun? Ohne die Diagnose kann ich nicht zum Versorgungsamt. Ohne Versorgungsamt schlägt mir das Jobcenter weiter Arbeitsplätze vor, die mehr als ungeeignet sind, und wenn ich die nicht antrete oder selber kündige, wird mir das ALG2 gekürzt und ich muss wieder einen Anwalt auf Staatskosten beschäftigen. Auch bräuchte ich theoretisch ein Auto, denn in öffentlichen Verkehrsmitteln geht es mir teilweise so schlecht, dass vieles unerledigt bleibt. Und mit Hartz4 kann ich meine Wohnung auch nicht entsprechend umrüsten. Und seit ungefähr einem Jahr habe ich einen unreparierten Wasserschaden in der Wohnung, weil mein Vermieter die Wohnung nur hat, um Gewinn zu machen. Chemie wie Schimmel Ex kann ich nicht auf die Wände sprühen und mit Essig komme ich auch nicht weit. Die Nachbarn beschweren sich schon, weil meine Wohnung wie ein feuchter Keller riecht und mein Allergologe hat mir die Schimmelpilzallergie nun auch bescheinigt.

Langsam reicht es echt!

Autor: Carsten Braatz für CSN – Chemical Sensitivity Network, Berlin, 2. April 2012

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