Wie die Atombombe die Wissenschaft entstellt hat

Die Atomwolke über Hiroshima, 2 Minuten nach der Explosion, 8 Uhr 17 morgens.

Die Vereinigten Staaten hüllten sich sofort in den Mantel der westlichen Zivilisation, nachdem sie am 6. und 9. August 1945 über Japan Atomwaffen explodieren ließen. Diese Waffen haben Wissenschaftler hergestellt. Dadurch haben Wissenschaftler Wissenschaft gefährlich gemacht, sich selbst, Amerika und die Welt für immer verändert.

1963 brachte David Lilienthal, Vorsitzender der US-Atomenergiekommission, die Vorläufer des Department of Energy war, wegen der Bombe große Bedenken gegenüber Wissenschaft und Wissenschaft- lern zum Ausdruck. Er sagte, die Bombe hat den Wissenschaftlern an den Universitäten sehr viel Geld beschert, sie von Forschung und Lehre abgelenkt und zu exklusiven Experten für Kriegswaffen gemacht. Diese neue Funktion hat „den Geist des unabhängigen Forschens“ aufgeweicht und Wissenschaftler zu „unkritischen Verfechtern und sogar zu Lobbyisten für zahlreiche große ‚programmatische‘ technische Unternehmen gemacht“. Dies war insbesondere am Verhalten jener Atomwissenschaftler zu erkennen, welche die Bombe ins Leben riefen.

Nach Lilienthal nahm der Atomwissenschaftler „manche Eigenschaften seiner welterschütternden Kreation“ selber an. „In der Öffentlichkeit umgab ihn etwas unwirkliches, etwas Übermenschliches und etwas Frucht einflößendes.“

Lilienthal sagte, dass die immensen Programme, welche die Wissenschaft in sich aufgesogen haben, die Unabhängigkeit der Wissenschaftler korridieren, indem sie sowohl beeinflussen, wie sie sich selber sehen, aber auch, wie dies wissenschaftliche Laien tun. Er beschreibt den neuen, „unfehlbaren“ Wissenschaftler nach der Bombe als „Organisationsmenschen“ und Wissenschaft als „an der Börse höchst gefragter Wachstumswert“. (1)

Über 30 Jahre später bestätigte Sir Joseph Rotblat, ein Friedensnobelpreisträger von 1995, das Unbehagen – und zwar die Furcht – die Lilienthal bezüglich der von der Bombe gemachten Wissenschaftler zum Ausdruck gebracht hatte. Er sagte, dass die Bomben nicht nur die Wissenschaftler, sondern auch die Kreativität der Wissenschaft korrumpiert haben, indem sie ihre Anwendung „zu etwas, das der Menschheit schadet“ gemacht haben. Rotblat wirft Wissenschaftlern vor, die Hauptkraft im Atomwaffenwettlauf geworden zu sein, was „eine völlige Perversion der erhabenen Ideale der Wissenschaft“ ist.

Rotblat erklärte nicht, was diese Ideale sein könnten, doch er brachte die Sorge zum Ausdruck, dass der wissenschaftliche Fortschritt oder die uneingeschränkte wissenschaftliche Forschung zur völligen Zerstörung führen könnte, einschließlich des Endes von Leben auf der Erde. Um so ein Desaster zu verhindern empfahl er, der Forschung für Physik und Biologie Beschränkungen aufzuerlegen. Zusätzlich, sagte er, sollten Wissenschaftler eine Art hippokratischen Eid ablegen, wissenschaftliche Erkenntnisse nicht zum Schaden der Menschheit einzusetzen. (2)

Wissenschaft ist potentiell tödlich, da sie in vielerlei Hinsicht nicht dem Wohl der Bürger dient. Stattdessen ist sie ein Tochterunternehmen des Krieges; sie hält ein Gesundheitssystem am Funktionieren, bei dem es um den Vertrieb von Heilmitteln und nicht um Heilung geht; sie versorgt eine industrialisierte Landwirtschaft, die von Breitband-Toxinen (Bioziden) abhängig ist, die Menschen, Tiere, Lebensmittel und Trinkwasser des Landes vergiften. Zahlreiche andere schädliche Industrien könnten ohne Wissenschaft nicht existieren.

1974 bezweifelte Elting E. Morison, ein Professor am Massachusetts Institute of Technology, ob die moderne Wissenschaft und Technik den Bedürfnissen der Menschen gerecht wird. Er war sich weitgehend sicher „dass der unaufhörliche Strom neuer Artefakte“ mit der Natur des Menschen nicht vereinbar ist. Deshalb sagte er: „Es gibt anscheinend das zunehmende Auseinanderklaffen zwischen unserem sich ausweitenden Wissen, was wir mit den Materialien und Energien der uns umgebenden Welt machen können und unserem älteren, jedoch weniger sicherem Verständnis von dem, was wir zu tun haben und wir selber zu sein. Und aus diesem Missverhältnis – auf der einen Seite das Leistungsvermögen unserer Maschinerien und auf der anderen unsere Konfusion über das, was wir wirklich brauchen – werden wir höchstwahrscheinlich als Verlierer hervorgehen – zerschlissen, zerstört, völlig verbogen, in per Computer-Design entworfene Räume eingepfercht, zu Tode gelangweilt.“ (3)

Dieses gefährliche und tragische Dilemma ergänzt und ergibt sich aus den verdrehten Werten, welche die Bombe Wissenschaft und Technik eingeimpft hat. Atomkraftwerke, die zivilen Partner der Bombe, veranschaulichen eine menschliche Zwangslage des 21. Jahrhunderts. Nehmen wir beispielsweise das nukleare Elektrizitätswerk Edison in San Onofre, Südkalifornien.

Ace Hoffman, ein Software-Programmierer und einer, der seit vielen Jahrzehnten über Atomkraft schreibt, ist davon überzeugt, dass die Anlage in San Onofre unsicher ist und sofort geschlossen werden sollte. Am 10 Januar 2010 erklärte er warum:

Atomkraft ist nicht billig, ist nicht Co2-frei und ist nicht sicher. Das Problem mit dem Abfall ist unlösbar. Eine Kernschmelze, die ein Gebiet der Größe von Pennsylvania verseuchen könnte, kann jederzeit in jedem Atomkraftwerk passieren. Riesige Geldbeträge werden heimlich ausgegeben, damit Atomkraftwerke weiter betrieben werden dürfen. Riesige Mengen Wasser und andere Ressourcen werden täglich verschwendet und riesige Mengen Kohle und Öl werden verbraucht, um den Brennstoff, der in Atomkraftwerken verwendet wird, zu fördern und aufzubereiten. Sehen Sie sich die Kosten der Sanierung unserer Produktionsstätten für Atomwaffen an, wie etwa Hanford in Washington, um eine Vorstellung zu bekommen, wie hoch die wirklichen Kosten des Rückbaus von Atomkraftwerken sein werden (die sogar MEHR Atommüll als unsere militärischen Programme produzieren). Während den vergangenen vierzig Jahren hat San Onofre tausende Tonnen tödlichen radioaktiven Müll produziert. Es handelt sich um Gifte, deren Gefahren nicht verschwinden, egal ob man sie backt, verbrennt, kühlt, zusammenpresst, expandiert, mischt, schockt, schüttelt, verflüssigt, vergast oder verfestigt. Gifte, die jeden Behälter, in die man sie steckt, physikalisch zerstören… Es gibt keinen Grund, San Onofre noch länger in Betrieb zu halten und viele gute Gründe, es für immer zu schließen – dazu gehören die NEUEN über 200 Kilo (500 Pound) an hochaktivem Atommüll, die es jeden Tag produziert, an dem es weiter in Betrieb bleibt. (4)

Regierung und nukleare Industrie ignorieren diese berechtigten Bedenken und halten an den fragilen nuklearen Fabriken fest. Möglicherweise sind sie in dieser tödlichen Politik gefangen, damit sie die Kontrolle über Atomwaffen aufrecht erhalten können.

Barack Obamas Präsidentschaftswahlkampf war von einem gesunden Misstrauen gegenüber der Atomkraft geprägt. Nun, in seiner Rede zur Lage der Nation am 27. Januar 2010, versprach er Staatszuschüsse für den Bau „einer neuen Generation sicherer, sauberer Atomkraftwerke“.

Die Verkehrung von Werten, was Obama betrifft, und die Tragödie und die Fehler, die sich unweigerlich aus dem Atomkurs des Landes ergeben, haben ihren Ursprung in einem Geflecht mächtiger ökonomischer und militärischer Interessen, die sich alle um die Auffassung und Manipulation der Wissenschaft drehen, die mit der Bombe verheiratet wurde. Man stellt fest – und Lilienthal hat dies sehr deutlich ausgesprochen – dass die Wissenschaft in Amerika, besonders wenn es um Atomwaffen und Energie geht, groß und gefährlich ist.

Die nukleare Katastrophe in Japan im März 2011 bekräftigt das Eindruck, dass dieses militärische Spiel nun weit genug gegangen ist, Atombomben mit dem Lippenstift der Atomkraftwerke unter dem Anstrich der friedlichen Nutzung der Kernkraft zu verstecken. Die Zeit ist reif, diese tödliche nukleare Gefahr abzuschaffen.

Der Weltrat für erneuerbare Energien (World Council for Renewable Energy) drängte die Welt am 13. März 2011, „das sich auf die Atomkraft verlassen und den Handel mit dieser unglaublich gefährlichen Technologie zu beenden… Es ist ‚Fünf nach Zwölf‘ wenn wir den giftigen, todbringenden nicht erneuerbaren Ressourcen, die den Ruin für die Menschheit bedeuten, den Rücken kehren wollen.“ (5)

In der Tat wäre das Beenden der Atomenergieerzeugung der erste Schritt der Befreiung von der Bombe. Sonnenenergie ist sowohl machbar als auch unerschöpflich. Deutschland hat sich auf diesen Weg begeben.

Genau so wichtig ist, die Abwesenheit der nuklearen Bedrohung würde die Wissenschaft befreien, zu ihren Wurzeln zurück zu kehren, d.h. das Universum erforschen und das Wohl der Menschen verbessern. Schließlich würde sich die Wissenschaft selbst von der Bombe scheiden.

Autor: Evaggelos Vallianatos für Truthout, 7. August 2011

Übersetzung: BrunO für CSN-Chemical Sensitivity Network

Der Orignialartikel „Science Distorted by the Bomb“ steht unter einer Creative Commons Lizenz: by-nc.

Für diese Übersetzung gilt das entsprechende deutsche Lizenzmodell.

Artikel-Foto: UN-Photo/Mitsuo Matsushige CC: by-nc-nd

Ph.D. Evaggelos Vallianatos ist gebürtiger Grieche, studierte und lebt in den USA, wo er Bücher über griechische Geschichte schreibt. Neben anderen Ämtern, u.a. als Berater der Vereinigten Nationen für nachhaltige Entwicklung, arbeitete er bis 2004 für die EPA. Neben griechischer Geschichte gelten seine Interessen globaler Umwelt- und Agrarpolitik.

Referenzen:

  1. David Lilienthal, „Change, Hope, and the Bomb“ (Princeton, NJ: Princeton University Press, 1963) 61-72, 76.
  2. Joseph Rotblat, „Science and Humanity in the Twenty-First Century“ Nobelprize.org.
  3. Elting E. Morison, „From Know-How to Nowhere: The Development of American Technology“ (New York: New American Library, 1977) 137.
  4. Personal communication from Dr. Janette Sherman, January 11, 2010. Ace Hoffman is the author of „The Code Killers.“ See www.acehoffman.org.
  5. Peter Droege, University of Liechtenstein, www.wcre.org.

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