Die Finanzierung wissenschaftlicher Studien beeinflusst Studienergebnisse
Die Akte Markingson: Warum jemand, der über Gesundheit schreibt, die Finanzierung medizinischer Studien im Auge behalten sollte
Das größte Versagen, das sich ein Autor, der über medizinische Themen schreibt, leisten kann, besteht darin, sich mit einer Studie zu befassen, ohne deren Finanzierung zu beleuchten.
Wenn die Finanzierung an Bedingungen geknüpft ist, kann dies das Ergebnis einer Studie beeinflussen. 2003 kam eine Studie im „British Medical Journal“ zu dem Ergebnis, dass „von Pharmaunternehmen gesponserte Studien mit höherer Wahrscheinlichkeit für den Sponsor vorteilhaftere Resultate hervorbringen als Studien mit anderen Sponsoren“.
Dies kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Forscher angestrengt arbeiten, um ihre Finanziers bei Laune und den Geldhahn offen zu halten. Es kann aber auch am – möglicherweise nur unterschwelligen – Druck der Pharmaunternehmen liegen, positive Ergebnisse zu liefern.
Im Oktober 2009 erklärte sich AstraZeneca bereit 520 Millionen Dollar zu zahlen um Ermittlungen der amerikanischen Bundesbehörden auszusetzen und Whistleblower-Prozesse zu schlichten, in denen es um die Vermarktungsmethoden dieser Firma für das Neuroleptikum Seroquel ging. Dazu gehörten Anschuldigungen, die Firma hätte Forschungsdaten für Marketingzwecke manipuliert. Wie die New York Times damals schrieb, „war Seroquel das am häufigsten verkaufte Neuroleptikum Amerikas. Nach Angaben von IMS Health Beraterfirma betrug der Umsatz in den Vereinigten Staaten seit 2004 17 Milliarden Dollar“.
An der Universität von Minnesota wurde für Seroquel nach der Marktzulassung eine klinische Studie, die sogenannte CAFE-Studie durchgeführt, um zu belegen, dass Seroquel besser als seine Konkurrenzprodukte ist. Eine der Versuchspersonen, Dan Markingson, beging im Verlauf der Studie Selbstmord.
Carl Elliott, ein Bioethiker an der Universität von Minnesota dokumentierte einige dieser mutmaßlichen Manipulationen mit Hilfe von Unterlagen, die er zu Prozessen gegen diese Firma fand.
Der Druck, Seroquel als überlegen erscheinen zu lassen, begann bereits vor 20 Jahren, als das Medikament noch sehr neu war.
In den späten 90’er Jahren gelang es einer Studie nicht, die als Studie 15 bekannt ist, zu beweisen, dass Seroquel besser als Haldol bzw. Haloperidol ist, ein älteres Neuroleptikum, das seit den 60’er Jahren auf dem Markt war. Aufgrund einiger Ergebnisse war Seroquel schlechter als Haldol. Noch schlimmer war, die Studie ergab, dass Seroquel das Risiko für Gewichtszunahme und Diabetes erhöhte. In der firmeninternen Korrespondenz wurde die Studie 15 immer wieder als „misslungene Studie“ bezeichnet und die Leitung diskutierte Möglichkeiten, sie zu umzubiegen oder verschwinden zu lassen.
Im Seroquel Strategieplan 1997-2001 schrieb die Firma auf S. 17, „Da Studie 15 versagte, hat das Strategieteam das Programm für die IIIB Testphase (PDF, S. 7 Mitte) [nach Beantragung der Marktzulassung und vor der Entscheidung] neu überdacht und beschlossen, dass die Höhe des Risikos reduziert werden sollte, da das Versagen einer weiteren umfangreichen Studie, z.B. zu Behandlungsresistenz, einen erheblichen Schaden für die Reputation der Marke auf dem Markt zur Folge hätte, sofern es nicht gleichzeitig andere erfolgreich durchgeführte Untersuchungen gäbe“.
Zu Studie 15 schrieb Richard Lawrence, ein höherer Mitarbeiter von AstraZeneca in einer Notiz vom Februar 1977, „ich fühle mich nicht ganz wohl, wenn diese Daten zu dieser Zeit veröffentlicht wurden… ich verstehe jedoch, dass wir kaum anders können… Lisa hat es super geschafft, alles etwas besser aussehen zu lassen!“.
Lisa Arvanitis, eine weitere AstraZeneca Mitarbeiterin, erhielt wie Don Stribling von AstraZeneca eine Email-Kopie (CC:) der Notiz. Lavrence schrieb außerdem, „wie Don verdeutlicht hat, sollte die Annahme dieses Ansatzes den Schaden minimieren (und was soll’s, ich wage zu behaupten) es könnte dieser verdammten Studie (was die Sicherheit angeht) einen positiven Dreh verpassen“.
Im November 1997 schrieb ein AstraZeneca Arzt eine Email an einen Forscher, in welcher er erklärte, warum das Unternehmen seine Studie nicht finanzieren könne. „R. und D. sind nicht mehr für die Seroquel-Forschung zuständig“, schrieb er. „Das gehört nun zum Aufgabenbereich von Vertrieb und Marketing.“ Er wies weiter darauf hin, dass sich die Chancen für eine Finanzierung erhöhen würden, wenn die Studie einen „Wettbewerbsvorteil für Seroquel“ nachweisen könnte.
In einer Email von Mai 1999 schrieb John Tumas, ein Pressechef von AstraZeneca, daß er sich Sorgen mache, das Unternehmen würde „mit den Daten Rosinenpickerei betreiben“.
„Wir haben die Studien 15, 31 und 56 versenkt und überlegen dies nun für CoStar“, schrieb er. „Was sollen wir der Öffentlichkeit erzählen, wenn sie uns dafür kritisieren, dass wir Daten zurückhalten?“
Offenbar auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, die Vorzüge von Seroquel zu betonen, führte das Umsatzförderungsteam des Unternehmens eine Meta-Analyse zahlreicher anderer Studien durch. Diese Meta-Analyse ergab nicht, dass Seroquel besser als Haldol wäre. Stattdessen kam die Dokumentation des Teams vom März 2000 zu dem Schluss, dass „diese Analysen was die Generierung von positiven Behauptungen zu Seroquel angeht, irgendwie enttäuschend wären“.
Diese Analyse kam für AstraZeneca zu einem sehr ungelegenen Zeitpunkt. Dr. Charles Schulz von der Universität Minnesota arbeitete mit dem Unternehmen gerade daran, eine Präsentation der Daten von Seroquel auf der Jahreskonferenz der Amerikanischen Psychiatervereinigung (APA) in Chicago vorzubereiten, die kaum zwei Monate später stattfinden sollte.
In einer Email vom März 2000 schrieb Tumas:
Die Daten sehen nicht gut aus. Ich weiß nicht, wie wir daraus einen Bericht machen sollen. Ich vermute, wir alle (einschließlich Schulz) haben die guten Sachen gesehen, z.B. die Responderraten der Meta-Analysen die zeigten, dass wir Placebos und Haloperidol überlegen waren, und dann dachten wir, dass weitere Analysen das stützen würden und eine Dokumentation musste her. Was aber der Fall zu sein scheint ist, dass wir nur die guten Sachen hervorgehoben haben und dass unsere eigenen Analysen die ‚Ansichten dort draußen‘ bekräftigen, dass wir weniger wirksam als Haloperidol und unsere Konkurrenten sind. Lasst uns, nachdem wir das verdaut haben, zusammen kommen (oder eine Telekonferenz machen) und diskutieren, wie wir von da aus weiter machen. Wir müssen dies schnell tun, weil Schulz einen Entwurf für die APA fertig bekommen muss und jede zusätzliche Analyse braucht, die wir ihm noch vorher geben können.
Schulz muss die Daten, die er benötigte, bekommen haben, denn er präsentierte als Hauptattraktion der Konferenz im Mai eine Zusammenfassung jener AstraZeneca Daten, welche Seroquel gegenüber Haldol als „signifikant überlegen“ darstellten.
Dokumente, die für Prozesse gegen AstraZeneca eingereicht wurden, legen nahe, dass AstraZeneca hoffte, Seroquel möglicherweise von der zugelassenen Anwendung abweichend (sog. Off-Label-Use) für erstmalig Erkrankte („First-Episode Patienten“) zu vermarkten, genau jene, welche für die CAFE-Studie herangezogen wurden. Zu dieser Gruppe hätte auch Dan Markingson gehört.
Das Seroquel Strategiepapier von 2000 besagt, dass das Unternehmen „Seroquel als atypische Option für First-Episode Patienten“ einführen sollte. “ Dies habe einen Halo-Effekt [Überstrahlung]), da diese Patienten besonders zu EPS (extrapyramidale Störungen) und Gewichtzunahme neigen. [Anm.: Das heißt, die Nebenwirkungen von Seroquel ähneln den Symptomen dieser Patienten und fallen nicht weiter auf.] Zur angestrebten Ausweitung [der Vermarktung] wird ebenfalls aufgeführt „Seroquel On- und Off-Label einzusetzen. Das ganze Vertriebsteam einspannen. Schulungsprogramme zur Verbreitung der Off-Label-Daten“.
2007 veröffentlichte das American Journal of Psychiatry die Ergebnisse der CAFE-Studie, die für Seroquel sprachen.
Die Autoren behaupteten, die CAFE-Studie habe ergeben, dass Seroquel für First-Episode Patienten eine „vergleichbare Wirksamkeit“ aufweist wie Zyprexa und Risperdal.
Zu den 18 „ernsten unerwünschten Ereignissen“, die bei diesen Studien mit 400 Probanden festgestellt wurden, zählen fünf Selbstmordversuche, einschließlich zwei vollendeter Selbstmorde, beide Patienten, die Seroquel einnahmen. Einer von ihnen war Markingson, obwohl ihn das Papier nicht namentlich erwähnt.
Nach Angaben der Autoren der Studie kam es „trotz der in der klinischen Forschung üblichen sorgfältigen Betreuung in den Nachsorgeprogrammen“ zu diesen Selbstmorden.
Autor: William Heisel, 27. Mai 2011
Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network
Copyright des Original Artikels University of Southern California, Annenberg School for Communication & Journalism. Auf Wunsch der Rechteinhaber darf diese Übersetzung nicht frei weitergegeben werden. CSN dankt für die freundliche Genehmigung zur Übersetzung und Einstellung des Artikel im CSN Blog.
Weitere Artikel von William Heisel sind in seinem Blog William Heisel’s Antidote: Investigating Untold Health Stories zu finden. (William Heisels Gegengift: Die Recherche unerzählter Geschichten aus dem Gesundheitsbereich).
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