Warum Antidepressiva bei so vielen Menschen nicht wirken

Neue Studie zeigt Mängel an der Wirkung von Antidepressiva

Mehr als die Hälfte der Menschen, die Antidepressiva nehmen, erfahren niemals eine Besserung.

Eine neue Studie von Eva Redei von der Northwestern University Feinberg School of Medicine belegt, dass die Ursachen von Depressionen zu stark vereinfacht wurden und Medikamente an den falschen Punkten ansetzen.

Es sieht so aus, als wären zwei lange favorisierte Glaubenssätze über Depressionen nicht mehr haltbar: Zum einen, dass stressreiche Ereignisse eine Hauptursache für Depressionen sind, und zum anderen, dass eine Störung in der Balance der Neurotransmitter im Gehirn depressive Symptome auslöst.

Beide Ergebnisse sind bedeutsam, da diese Glaubenssätze gegenwärtig die Grundlage für die Entwicklung von Medikamenten gegen Depressionen darstellen.

Eva Redei fand auf molekularer Ebene starke Belege gegen das alte Dogma, dass Stress allgemein eine Hauptursache für Depressionen ist. Sie fand, dass es fast keine Überlappung zwischen Genen, die mit Stress in Zusammenhang stehen, und solchen, die mit Depressionen in Zusammenhang stehen, gibt.

In ihrer Präsentation auf der Neuroscience 2009 Konferenz in Chicago sagte Redei: „Dies ist eine sehr große Studie und statistisch aussagekräftig. Diese Forschungsergebnisse eröffnen neue Wege, um Antidepressiva zu entwickeln, die evtl. effektiver sind. Seit 20 Jahren gibt es kein Antidepressivum, das auf einem neuen Konzept basiert.“

Ihre Ergebnisse basieren auf umfangreichen Studien mit einem stark depressiven Rattenmodell, dass viele der Verhaltensauffälligkeiten aufweist, die sich auch bei Patienten mit Depressionen finden.

Geringe Überlappung zwischen Stressgenen und Depressionsgenen

Redei isolierte die spezifischen Gene, die in diesen Tieren mit Depressionen in Zusammenhang stehen. Sie untersuchte die Hirnregionen “Hippokampus und Amygdala“ , die gewöhnlich in Ratten und Menschen mit Depressionen assoziiert werden.

Dann setzte sie vier verschiedene genetische Varianten von Ratten für zwei Wochen chronischem Stress aus. Danach identifizierte sie die Gene, die reproduzierbar die Stressreaktion in allen vier genetischen Varianten in den gleichen Hirnregionen verstärkten oder verminderten.

Redei erhielt so einen Satz von depressionsbezogenen Genen, die aus dem Rattenmodell für Depression stammten, und einen, der aus der Studie über chronischen Stress stammte.

Als nächstes verglich sie die beiden Sätze und suchte nach Überlappungen. „Wenn der Stress die Depressionen verursacht, sollte es eine signifikante Überlappung zwischen diesen beiden Sätzen von Genen geben. Aber es gab keinen.“

Sie fand in den untersuchten 30.000 Genen ungefähr 254 stressbezogene Gene und 1275 depressionsbezogene Gene. Eine Überschneidung gab es nur bei 5 Genen.

Redei schließt daraus, dass es zumindest im Tiermodell keinen belastbaren Hinweis darauf gibt, dass chronischer Stress zu den gleichen molekularen Veränderungen führt wie eine Depression.

Antidepressiva behandeln Stress und nicht Depressionen

Die meisten Tiermodelle, die zum Testen von Antidepressiva verwendet werden, basieren auf der Hypothese, dass Stress Depressionen verursacht. „Man stresst die Tiere und sieht auf ihr Verhalten. Dann manipuliert man das Verhalten der Tiere mit Medikamenten und sagt `OK, dass werden mal gute Antidepressiva“. Aber in Wirklichkeit behandelt man nicht Depressionen, sondern Stress.“

Das ist eine der Hauptursachen, warum aktuelle Antidepressiva so schlecht wirken. Redei sucht nun nach den Genen, die bei den depressiven Ratten anders sind, um Ziele für die Medikamentenentwicklung zu identifizieren.

Redei sagte, ein anderer Grund dafür, dass heutige Antidepressiva oft ineffektiv sind, rühre daher, dass sie darauf abzielen, Neurotransmitterkonzentrationen zu erhöhen, dies basierend auf der populären molekularen Erklärung von Depressionen als Resultat verminderter Konzentrationen der Neurotransmitter Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Aber das sei falsch. Die Medikamente haben die falschen Ziele.

Medikamente haben das falsche Ziel

„Die Medikamente haben sich auf die Effekte konzentriert, nicht auf die Ursachen. Darum dauert es so lange, bis sie wirken, und deshalb sind sie bei so vielen Menschen ineffektiv.“

Ihre Tiermodelle zeigten keine dramatischen Unterschiede in der Anzahl der Gene, die die Neurotransmitterfunktionen kontrollieren. Wenn Depressionen mit Neurotransmitterfunktionen im Zusammenhang stünden, hätte man es sehen müssen.

Ähnlichkeiten zwischen menschlichen und Nagetiergehirnen

Redei sagte, ihre Ergebnisse mit den depressiven Ratten seien sehr wahrscheinlich auf Menschen übertragbar. „Die Ähnlichkeiten zwischen diesen Hirnregionen bei Menschen und Nagetieren sind bemerkenswert. Der Hippokampus und die Amygdala sind Teile des entwicklungsgeschichtlich alten sogenannten Eidechsenhirns, dass das Überleben kontrolliert und auch bei primitiven Organismen das gleiche ist.“

Literatur: Feinberg, Northwestern University, Northwestern Research Finds Antidepressant Drugs Aim at Wrong Target, October 2009

Übersetzung: Karlheinz, CSN – Chemical Sensitivity Network, 4. Jan. 2010

7 Kommentare zu “Warum Antidepressiva bei so vielen Menschen nicht wirken”

  1. Energiefox 5. Januar 2010 um 12:21

    Also ich würde als Laie behaupten mehr Zuwendung und einen sicheren Arbeitsplatz und so ein Zeugs brauchte nicht so oft geschluckt werden. Wir leben in einer recht lieblosen Gesellschaft, leben auf einem viel zu hohem Energieumsetzungsniveau und ich denke viele spüren instinktiv so geht es nicht weiter. (Zukunftsangst)
    Ist jetzt mein laienhafter Versuch zu erklären warum viele anscheinend unglücklich sind, obwohl es die meisten Menschen in Deutschland doch wohl materiell recht gut geht. Beim Nachbarschaftstreffen zum Neujahr erzählte noch jemand, er hätte früher als Knecht beim Bauern über den Kühen ganz primitiv in einer Kammer geschlafen.
    Prima Bericht, kannte diese Studie nicht.
    Gruß Energiefox

  2. K. Fux 5. Januar 2010 um 15:28

    Gerne möchte ich mich den Worten von Energiefox anschließen. Antidepressiva ist sowieso kein Allheilmittel, da Antidepressiva lediglich die Keule obendrauf bewirkt, anstatt die Gesundheitsstörung bei der Wurzel des Übels zu fassen. Die Auslöser für Depressionen müssen ausgeschaltet werden. Das scheint mir, genau wie Energiefox feststellt, eher ein gesellschaftliches Problem unserer Zeit zu sein.

    Aus der Sicht von MCS Kranken stellt der leichtfertige Umgang mit Antidepressiva seitens der Ärzte ein weiteres Problem dar, denn gerne stellt man uns MCS Patienten ja in die Psycho-Ecke. Die meisten MCS Betroffenen können derartige Medikamente nicht verstoffwechseln und sind somit weitaus risikoreicheren, sogar lebensbedrohlichen Nebenwirkungen ausgesetzt, als andere Patientengruppen. Das Leben für nichts und wieder nichts aufs Spiel zu setzen, ist wie russisches Roulette.

    Besten Dank auch von mir an Karlheinz für diesen interessanten Artikel.

  3. B. Fix 6. Januar 2010 um 10:44

    Ich bin gegen die Meinung von Fux & Fox. Gesellschaftliche Ursachen für Depression, also auch Änderung der Gesellschaft – so weit, so gut. Aber beim Einsatz von Antidepressiva geht es immer um einen konkreten Einzelfall. Den kann man nicht warten lassen, bis die Arbeitgeber sozialer und die Beziehungspartner verständnisvoller sind.

  4. Domiseda 6. Januar 2010 um 11:47

    Doch, es gibt ein Antidepressivum, das auf einem anderen Denkansatz basiert:auf der Anhebung des Glutathionspiegels, also der Entgiftung: Samyr (leider enthält es Methacrylat!, dass für mich indiskutabel ist). Ich persönlich mache die Erfahrung, daß – egal welche gesellschaftlichen Bedingungen um mich sind -Depressionen augenblicklich bei steigender Toxinbelastung bzw. Kontakt mit „Allergenen“einsetzen (so als wären Leitungen im Gehirn wie gekappt); erst wenn diese Faktoren ausgeschaltet, beseitigt sind, schwinden die Depressionen – bei gleichem psychischem Umfeld.

  5. PappaJo 7. Januar 2010 um 07:46

    Muß mich Domiseda anschliessen.
    Beobachte ich auch an mir selbst. Kaum „draußen“ wenn man muß (Einkaufen etc.) und ich den Gerüchen und der Strahlenbelastung ausgesetzt, kommen die Depris von selbst und verschwinden später, in meinen 4 Wänden auch wieder.
    Ein gutes Mittel dagegen ist auch Bitterschokolade 70-85%tige. Damals konnte ich auch noch meine Glückspillen kaufen, als ich mehr Geld hatte. Das war die Aminosäure L-Glutamin in Kapseln von LBA. Irgendwas läuft von außen gesteuert falsch im Hirn wenn die Depris einsetzen.

    Aber auch das allgemeine Umfeld oder der Lebensumstand ist ausschlaggebend. Wer MCS hat, keinen oder kaum sozialen Kontakt, nicht genug Geld für das nötigste und dann auch noch AlgII hat nunmal Depressionen. Wer würde das dann in dem Dauerzustand nicht bekommen.

    Die noch gesunden bekommen die dann wohl eher durch das Leben in unserer ach so tollen „Ellenbodengesellschaft“, mit den tollen Arbeitskollegen, der Dauerlärmbeschallung unserer Städte usw. Ursachen gibt es zu genüge und kaum einer geht in sich und findet seine Mitte. Der Druck von außen bringt das mentale Feld aus dem Gleichgewicht. Da helfen dann auch keine Psychopharmaka.

    Ein lieber und verständnissvoller Partner wirkt da meist Wunder!

  6. Bingis 9. November 2014 um 10:47

    wer eine physiologische Erkrankung hat, dann vom Umfeld und sogar dem Arzt psychiatrisiert wird, der könnte wirklich Depressionen bekommen! Patienten mit unbekannteren Erkrankungen, wie z.B. mit Parasitosen, MCS werden oft psychiatrisiert. Zu Unrecht. Frauen werden öfters psychiatrisiert als Männer. Psychogen kann auch eine praktische Verlegenheitsdiagnose sein. Aber auch für die Diagnose „psychogen“ gibt es keinen verlässlichen Nachweis, wie .B. einen Bluttest.

    z.B: Reizdarm: erst nach unauffälliger Biopsie dürfte auf Reizdarm geschlossen werden. Fallbeispiel: eine Frau mit starken Darmbeschwerden wurde Stuhlprobe negativ auf Bakterien, Viren, Parasiten gestesten. Erst im Spital kam es zur Biopsie: dort wurde diagnostiziert: leichter Befall Giardiens mit allergischer Komponente Der Hausarzt hatte Reizdarm diagnostiziert…

    Auch Mobbingopfer: erhalten sie keine Hilfe, werden sie krank…die Täter laufen indessen mit Super-Selbstwertgefühl draussen gesund frei herum, und attackieren die Nächsten. Erst wenn Mobbing klar strafbar wird, könnten sich die Opfer erfolgreich wehren und ein besseres Selbstwertgefühl bekommen.

  7. Vanessa T. 19. Juli 2015 um 14:26

    ich weiß nicht ob ich die Kommentare so vertretbar finde. ich finde das ein positives umfeld bei depressionen wichtig und daher möglichst herzustellen ist aber Depressionen nur wegen dem arbeizsplatz? dann ist das jedenfalls nicht das was ich hab seit ich zehn bin und gar nicht mehr weiß wie es ohne ist. damals war mein Arbeitsplatz in der Grundschule jedenfalls gesichert. und n paetner hilft mir meine probleme zu verdrängen weiter nix. ändern tut sich nichts. man muss schon dran arbeiten. auch wenn man natürlich wenn einen partner einen besobders liebevollen braucht. aber ich denke die kommentare kratzen genauso an der Oberfläche wie bisherige Behandlungsmethoden von antidepressiva.
    ich vertrag den scheiß nicht und hab gehofft was darüber rauszufinden welches gen einem fehlen muss um den Müll nicht zu vertragen wie es bei meinem bruder der fall ist und weshalb ich ne 50%ige Wahrscheinlichkeit habe es auch nicht zu haben. ich merke das mich die medikamente beruhigen und einlullen die welt weniger bedrohkich erscheinen lassen und manche sogar ähnlich wie alkohol enthemmend wirken. das verändert aber leider nicht meine depressiven Gefühle und jetzt nach der Studie hier, weiß ich auch warum.

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