Armut durch Chemikalien-Sensitivität / MCS

Sad Angel - Trauriger Engel

Jeder ist seines Glückes Schmied – so ein altes Sprichwort. Früher empfand ich diesen Spruch als realistisch, aber seitdem ich an Chemikalien- Sensitivität (MCS) erkrankt bin, bin ich zu ganz anderer Ansicht gelangt.

Es kann ganz schnell gehen, und plötzlich verliert man jeglichen Einfluss auf sein Leben. Ein Leben mit MCS weist einen urplötzlich in ungeahnte Bahnen, die man selbst nicht mehr beeinflussen kann, so war es auch bei mir und darüber möchte ich Euch erzählen:

Als sich meine Krankheitssymptome stets verschlimmerten und nichts mehr ging, verlor ich neben einigen Freundinnen letztendlich auch meine Arbeitsstelle. Das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können, dass ich in so frühen Jahren plötzlich nicht mehr arbeiten würde. Gut, anfangs ist man abgesichert, mit dem im Verhältnis zum früheren Gehalt niedrigeren Arbeitslosengeld / Krankengeld kommt man noch zurecht. Jedoch zusätzliche Kosten für die plötzlich lebensnotwendigen Bio Lebensmittel, waren für mich unerschwinglich.

Löcher im Portemonnaie
Zusätzliche Löcher taten sich im Portemonnaie auf, weil ich zu diesem Zeitpunkt bei meinem behandelnden Umweltarzt jede Menge Geld investieren musste, um die erforderlichen Untersuchungen, die leider keine Kassenleistung sind, zu bezahlen, geschweige denn von den Fahrtkosten und Medikamente. Nun hatte ich noch das Glück, dass sich mein Partner rührend um mich kümmerte, sich extra Urlaub nahm und mich überall hinfuhr. Alleine wären diese anstrengenden Manöver für mich undenkbar gewesen. Doch auch der soziale Geldhahn versiegt irgendwann, und dann???

MCS – Schutzengel kennen viele Schicksale
In andere Chemikaliensensible kann ich mich gut hineinversetzen. Es ist schwer für all jene, die mit ihren Problemen völlig auf sich gestellt, klarkommen müssen. Dies trug dazu bei, dass ich ein MCS- Schutzengel wurde. Ich wollte gerne Menschen, die wie ich an MCS erkrankt sind, also mit mir das gleiche Schicksal teilen, mit Rat und Tat beiseite stehen und versuchen so gut es geht zu helfen.

Das Leben ein einziger Scherbenhaufen
Bei meinen Schutzengelgesprächen erhalte ich Einblicke in das schwere persönliche Leid von MCS Kranken. An Chemikalien- Sensitivität erkrankt zu sein, bedeutet in den meisten Fällen, sein komplettes früheres Leben zu verlieren. Oftmals kommt der Partner mit den vielfältigen gravierenden Einschränkungen, die ihn letztendlich ebenfalls betreffen, irgendwann nicht mehr zurecht und sucht das Weite. So ist nicht nur die Arbeit urplötzlich dahin, auch der Partner ist weg und langjährige Freundschaften gehen von jetzt auf gleich durch Unkenntnis von MCS, in die Brüche, und dann steht man völlig auf sich alleine gestellt, seinen massenhaft unlösbaren Problemen gegenüber.

Einschränken ist nicht endlos möglich
Neben all dem persönlichen Leid, den für Gesunde kaum vorstellbaren vielfältigen körperlichen Krankheitssymptomen, den starken finanziellen Schwierigkeiten, steht in den meisten Fällen zu allem Überfluss zwangsläufig auch noch ein Umzug in eine kleinere Wohnung an.
Wie soll man das mit MCS und ohne Einkommen alleine realisieren? Es ist völlig unmöglich. Hinzu kommt, dass das frühere Mobiliar für viele durch Schadstoffbelastung unbrauchbar geworden ist. Mir sind MCS Patienten bekannt, die sich Möbel bei der Caritas besorgen mussten, weil der Partner fast alles mitgenommen hat, sogar das Auto. Ob die Möbel von der Caritas frei von Schadstoffen sind, ist zu bezweifeln.

Jobs zum Überleben trotz schwerer Krankheit
Da das Geld hinten und vorne nicht reicht, gehen MCS- Kranke sogar mit letzter Kraft putzen und bringen dazu eigene ungiftige Putzmittel mit, um sich überhaupt etwas zu Essen leisten zu können, von Kleidung ganz zu schweigen. Andere müssen zur Tafel gehen für Nahrungsmittel, an Bionahrung können sie nicht einmal denken.

Im freien Fall aus dem sozialen Gefüge
Nach der Aussteuerung bei der Krankenkasse, konnten sich manche mangels eigener finanzieller Mittel, nicht einmal krankenversichern. Früher gut verdienende Menschen wurden zu Hartz IV Empfängern, und das geht ganz schnell. Vom Luxus in die Armut, von der MCS verträglichen Wohnung in eine Hartz IV gerechte, für MCS Patienten meist unverträgliche Wohnung, mit enormen Folgen für die Betroffenen.

Druck auf Schwerkranke statt Hilfe
Da MCS vielfach als nicht existent abgetan wird, erhalten MCS Kranke dann keinerlei staatliche Unterstützung mehr. Das Arbeitsamt schickte eine schwer kranke Chemikaliensensible sogar in Fortbildungsmaßnahmen, man nahm ihre Beschwerden nicht ernst. Als die Betreffende anmerkte, aus Gesundheitsgründen dort nicht hingehen zu können, wurde ihr das als Nichteinhaltung der Mitwirkungspflicht ausgelegt und gedroht, die Zahlungen an sie einzustellen.

Zwangsläufige Gesundheitsverschlechterung
Dadurch, dass sie nicht ausreichend Geld zur Verfügung haben und sich krankheitserleichternde Dinge wie biologische Nahrungsmittel, notwenige Medikamente / Vitaminpräparate, Luftfilter, Wasserfilter, Sauerstoffversorgung, MCS-Maske, Bio Kleidung etc. nicht leisten können, in völlig ungeeignetem Wohnumfeld leben müssen, laufen viele Gefahr, dass sich ihre Krankheitssymptome sich weiter chronifizieren, anstatt sich bessern. Sie sind in einem schier unüberwindbaren Teufelskreis angelangt.

Selbst um Recht zu bekommen braucht man Geld
Einen Antrag auf  Erwerbsminderungsrente stellen viele MCS Kranke nicht, weil sie keine Rechtschutzversicherung haben und sich keinen Anwalt leisten können. Sie haben kaum eine Chance, ihre gerechtfertigten Ansprüche gegenüber den Behörden mangels finanzieller Mittel, durchzusetzen. Wie erschütternd die Situation manchmal sein kann, möchte ich Euch anhand einer Frau erzählen, die ich als MCS Schutzengel betreute. Die ältere Dame versuchte trotz schwerer MCS an Geld zu kommen, damit sie zu Ärzten fahren konnte um ein paar Befunde zu haben, damit man ihre Rente zuerkennen würde. Für die Fahrt zu den Ärzten brauchte die schwer kranke Frau Sauerstoff. Um die erforderliche Summe zusammenzubekommen, ging sie abends im Park zu den Mülleimern und suchte Pfandflaschen heraus, um dann im Supermarkt ein paar Euro dafür zu bekommen.

Kranke helfen Not von Kranken einzudämmen
Die Menschen, die ich als MCS- Schutzengel kennen lernen durfte, standen alle mitten im Leben als es sie erwischte. In fast allen Fällen wurden sie ohne jegliches eigenes Verschulden krank. Mich bekümmert die Ungerechtigkeit daran, denn es ist alles andere als fair, dass man sie fallen lässt, wenn sie zusammenbrechen.
Auch wenn es mir oft selbst schwer fällt, ist das einer der Gründe, dass ich mich einsetze für Chemikaliensensible, denn die Ungerechtigkeit ist nicht akzeptabel und darf nicht stillschweigend hingenommen werden,

Euer MCS- Schutzengel Helene

Dieser Artikel wurde zum Thema Armut als Beitrag zum Weltblogtag 2008 geschrieben.

8 Kommentare zu “Armut durch Chemikalien-Sensitivität / MCS”

  1. Karlheinz 15. Oktober 2008 um 08:59

    Ich sollte mich zwar eigentlich zurückhalten, da ich ganz gut über die Runden komme, aber ich kann mich regelmäßig aufregen, wenn ich das Gejammer mitleidtriefender Sozialverbandsfunktionäre und Journalisten über die unhaltbaren Zustände unter Hartz IV etc. höre, wärend die ungleich schwierigere Siuation von MCS-Kranken von derartigen selbsternannten und vermutlich dabei gut verdienenden Samaritern offenbar völlig ignoriert wird. Gehts den Leuten wirklich um die Linderung wirklicher Not? Überlebensprobleme hat man mit Hartz IV zumindest nicht, wenn man gesund ist.

  2. Mary-Lou 15. Oktober 2008 um 11:14

    Ich konnte mich bisher auch immer irgendwie durchmogeln. Von Mitbetroffenen ist mir jedoch bekannt, dass ihnen das Schicksal genau so widerfährt, wie hier beschrieben. Das stimmt mich betroffen, zumal sich die Öffentliche Hand fein raus hält und Chemikaliensensible bewusst alleine lässt. Das kann nicht angehen und ist mehr als eine Schande.

    Aber die Verantwortlichen sollten sich diesen Blog gut durchlesen, denn an MCS kann jeder erkranken, auch diejenigen, die heute noch bewusst wegschauen.

  3. T-Rex 15. Oktober 2008 um 18:41

    Helene, als ich Deinen Artikel fertiggelesen hatte, da dachte ich wie hält sie das nur aus. Selbst so krank und hört zu und baut andere Kranke auf. Hilft da Tag und Nacht Leuten wo nix mehr geht.

    Mädel, ich bin stolz auf Dich und die anderen MCS-Schutzengel. Den Job würde ich nicht schaffen.

  4. yol 15. Oktober 2008 um 18:59

    Auch in meinem Lande, dem sogenannt „reichen“ Luxemburg gibt es bisher keinerlei Hilfe, aber jede Menge Ungerechtigkeiten.
    Auch hier werden wir behandelt wie früher die Menschen mit Pest, d.h. gar nicht von öffentlicher Seite, was zu Folge hat, dass wir abseits der Zivilisation vegetieren. Mit Pest hat MCS zwar tatsächlich was zu tun, wenn man darauf zurückkommt, dass Pestizide daran beteiligt sind, aber dennoch sollte in jedem Land das 21te Jahrhundert seine Menschen anders behandeln als zu Zeiten der Pest.
    Ich schäme mich heute, über 25 von 30 Arbeitsjahre lang (zwangsweise – aber ohne Rebellion meinerseits, dies bis 5 Jahre vor Beendigung meiner Karriere) Beiträge an ein Sozialsystem geleistet zu haben, das nicht solidarisch und somit nicht als sozial gelten kann.
    Die letzten Jahre bin ich ausgestiegen, im vollen Bewusstsein, dass das System, das mich schon 25 Jahre um meine Menschenrechte betrogen hatte, dies auch weiterhin tun würde, dann wenn ich Hilfe bräuchte.
    Und das wäre jetzt der Fall mit MCS, da wo ich und alle andern auch leer ausgehen.
    Die zuständigen Stellen sind ganz offen für die Belange der Menschen mit MCS, dies seit mehr als einem Jahr, aber wir stehen immer noch an der gleichen Stelle, nämlich voll im Wind und Regen und Hunger haben wir auch noch immer…
    Geld kann wohl hier nicht als Ursache von… dienen, denn mein Land hat für alles Erdenkliche (was dem Schein nach aussen nutzt, nicht aber das, was der Armut im inneren nutzen würde, die es sehr viel mehr gibt, als man sich vorstellen kann). Hier wird das Image poliert, dazu gehört nun mal die Armut in all ihren Facetten nicht. Und MCS ist nicht mal dem Namen nach bekannt…nicht mal in medizinischen Kreisen.
    Armes reiches Land!

  5. Adele 15. Oktober 2008 um 22:07

    Hallo Helene,

    in Deinen Ausführungen finde ich meine eigene Situation vielfach wieder.

    Die facettenreiche Armut, in die man durch eine Umwelterkrankung wie MCS ohne jegliches eigenes Verschulden hineingeraten kann, und dies geht schneller als man denkt, und ohne fremde Hilfe dem Geschehen niemals mehr entfliehen kann, wird noch viele weitere Opfer fordern, da man nichts gegen MCS Neuerkrankungen unternimmt. MCS ist eine Erkrankung, die es auf Grund der Ursachenbenennung in der Krankheitsbezeichnung offiziell nicht geben darf. So werden die Zahlen künstlich geschönt und mit vereinten Kräften daran gearbeitet, dass in der Öffentlichkeit das Bild gewahrt bleibt, Chemikaliensensibiliät sei eine ganz seltene Erkrankung. Demzufolge lässt man MCS Betroffene völlig auf sich alleine gestellt, ihrem unausweichlichem Schicksal vor die Hunde gehen. Es ist kaum mit Worten zu beschreiben, aber dass hast Du prima hingekriegt Helene.

    Danke für Eure Arbeit an alle MCS Schutzengel, dass was Ihr trotz Eurer eigenen MCS Erkrankung leistet, ist unbezahlbar und es macht mir wiederum Mut, dass immer noch was geht, auch wenn es einem selber schlecht geht.

    Danke für Deinen anschaulichen Blog, Helene. Ich hoffe er wird die Leute da draußen in ihren schicken Büros mit den dicken Gehältern einmal wachrütteln, denn das was mit uns gemacht wird, kann man gar nicht mehr gut machen. Ich persönlich finde, dieses Zusehen und nichts unternehmen, ist auf alle Fälle der Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung. Diese sollte nicht ohne Folgen bleiben. Daher wünsche ich mir sehr, dass dieser Blog auch einmal von den Richtigen gelesen wird und sich die Situation von MCS Kranken in diesem Lande endlich auf ein erträgliches Maß verbessert.

    Adele

  6. yol 15. Oktober 2008 um 22:33

    @ Helene

    Herzlichen Dank für Deinen Beitrag, der MCS in all seinen Facetten realistisch beschreibt. Danke auch für Deine Tätigkeit für andere Menschen mit MCS da zu sein, dies obwohl MCS auch von Dir enorm viel fordert.

    @ Adele

    Dein Wunsch, dass die „richtigen“ Leute das mal lesen, das ist mein Ziel.
    Es gibt so einige EU-Politiker, die sind an den Konsequenzen der Gifte interessiert, für deren Richtlinien sie zuständig sind. Dann gibt es einige betroffene Minister, die brauchen auch die Realität, wie sie hier gelebt wird, damit sie nicht nur nach Buchstaben arbeiten, sondern in humaner Weise.
    Dazu ist der gesamte Blogbeitrag vom 15.10.08 zum Thema Armut und MCS bestens geeignet. Wer das gelesen hat, kann sich nicht mehr hinter schaalen politischen Argumenten verkriechen. Und dass das gelesen wird, das ist dann unser Beitrag als Betroffene.

  7. MCS Schutzengel Helene 19. Oktober 2008 um 10:19

    Liebe Yol,

    einmal ein MCS-Schutzengel zu werden, hätte ich mir niemals träumen lassen, es ergab sich aus dem Lauf der Dinge, dadurch dass immer mehr MCS Kranke unter uns, ins gesellschaftliche Abseits gedrängt und unschuldig zu Armen unserer reichen Nation gemacht werden, und man sie mit all ihren schweren Problemen völlig auf sich alleine gestellt, auf Deutsch gesagt, mit System vor die Hunde gehen lässt. Dabei konnte ich nicht zusehen, ich muss was dagegen tun, denn ich weiß es sehr zu schätzen, dass mein Partner zu mir hält und es mir so, trotz all meinen eigenen starken MCS Beschwerden, dann doch noch besser geht, als wenn ich mit meinen Problemen ganz alleine dastehen würde.

    Anderen helfen zu können, ist eine wunderbare Erfahrung, denn dass wir absolut keine Therapie und Hilfe von Außen erhalten, zwingt uns, uns irgendwie selbst zu helfen. Wie man das alles selber manchmal schafft oder geschafft hat, frage ich mich öfters. Aber wie man sieht, es geht irgendwie. Manches geht dennoch besser, als man es vorher selbst einschätzen kann. Ich probiere immer, und hinterher freue ich mich, wenn was Gutes dabei herum kam.

    Liebe Yol, auch an Dich ein großes Dankeschön, Deine Arbeit im Forum und im CSN-Blog ist ebenfalls sehr wertvoll für alle MCS Kranke.

    Es ist schön, wenigstens einander zu haben.

    Liebe Grüsse
    Helene

  8. Lucie 17. November 2008 um 08:41

    Hallo Helene,

    auch von mir besten Dank an Dich und an alle anderen MCS Schutzengel. Es ist schön, dass es Euch gibt und dass Ihr versucht, Anderen zu helfen, obwohl es Euch selbst schlecht geht.

    Dass wir MCS Betroffenen auf uns selbst gestellt sind und wir unschuldig ins soziale Abseits und in Armut gedrängt werden, ist eine schlimme Sache.

    Auch ich wünsche mir sehr, dass Dein Blog von den richtigen Leuten gelesen wird und endlich Verbesserungen ergeben und Hilfe für MCS Kranke ermöglicht wird, die sie dringend brauchen.

    Herzliche Grüsse an die MCS Schutzengel,
    Lucie

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