In Deutschland unvorstellbar: Ärzte verklagen großen Konzern und rufen Occupy!

Ärzte in Utah schließen sich der Occupy-Bewegung an

Von der Occupy-Bewegung inspiriert, kündigte Ende Dezember 2011 eine Gruppe aus Ärzten und Umweltinitiativen in Salt Lake City in Utah eine Klage wegen Verletzung des Luftreinhaltungsgesetzes gegen Rio Tinto an, dem drittgrößten Bergbauunternehmen der Welt. Dies ist wahrscheinlich das erste Mal überhaupt, dass Ärzte die Industrie wegen Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung angeklagt haben.

Luftverschmutzung verursacht in Utah zwischen 1.000 und 2.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr. (1)

Außerdem hat die medizinische Forschung der vergangenen zehn Jahre eindeutig bewiesen, dass Luftverschmutzung das gleiche umfangreiche Spektrum an Krankheiten verursacht wie jene, die als Folge von Aktiv- und Passivrauchen bekannt sind – Schlaganfälle, Herzattacken, Bluthochdruck, nahezu jede Art von Lungenerkrankung, neurologische Erkrankungen wie Alzheimer, Parkinson, Intelligenzverlust, Erbgutschädigungen, erhöhtes Vorkommen von Diabetes und Adipositas, Miss- oder Fehlgeburten und verschiedene Krebserkrankungen wie z.B. Lungenkrebs, Brustkrebs und Leukämie. (2-12)

In den meisten Städten Utahs werden viele der bundesweit gültigen Standards der amerikanischen Umweltschutzbehörde (EPA) für Luftqualität nicht eingehalten und in einem typischen Winter leidet Utah über Tage hinweg unter der schlimmsten Luftverschmutzung Amerikas. Die American Lung Assoziation (Lungenärzte-Organisation) benotet die Luftqualität der größten Städte in Utah regelmäßig mit einem „F“ [A = beste, F = schlechteste Note]. Im Februar 2011 bewertete die Zeitschrift „Forbes“ Salt Lake City als die 9t giftigste Stadt des Landes, wobei man Forbes kaum großes Engagement für umfassenden Umweltschutz unterstellen kann. Ausschlaggebend für diese Bewertung war die Bergbau- und Verhüttungstätigkeit in der Bingham Canyon Mine, welche vom Londoner Bergbau-Konsortium Rio Tinto/Kennecott (RTK) betrieben wird. (13)

Dies ist der größte Tagebau der Welt und dieser hat für das weltgrößte, durch Bergbau verursachte Gewässerbelastungsproblem gesorgt. Die Mine befindet sich am westlichen Ortseingang von Salt Lake City, wo 1,8 Millionen Menschen leben. Es gibt kein anderes vergleichbares Beispiel für den Betrieb einer derart gigantischen Grube, so nah an einer so großen Stadtmetropole. RTKs Bergbau- und Hüttenbetrieb ist für 30 Prozent aller Feinstaubpartikel verantwortlich, welche in die Atmosphäre des Landkreises Salt Lake abgegeben werden (14) und diese Mine zur mit Abstand größten Quelle industrieller Umweltbelastung in den städtischen Gebieten Utahs machen.

Die Verhüttung und der Staub, welcher von den 1.100 Fuß (ca. 235 Meter) hohen Abraumhalden und von den Bergteichen aufgewirbelt wird, führen zu einer anhaltenden Kontamination von Luft, Wasser und Boden der größten Stadt Utahs – mit giftigen Schwermetallen wie Blei, Quecksilber, Arsen und Kadmium. Nach Auskunft von Earthworks, einer bergbaukritischen Organisation, gab RTK vor der erst kürzlich genehmigten Erweiterung jährlich 695 Millionen Pounds (ca. 383.000 Tonnen) toxisches Material in die Umwelt von Salt Lake City ab. (15) Da Schwermetalle nicht abbauen, nicht verbrannt oder zerstört werden können, erhöht sich die toxische Belastung über die Jahre, was in mehr als hundert Betriebsjahren der Mine geschehen ist. Trotz dieser extremen Belastung für die öffentliche Gesundheit, hat die für Luftqualität zuständige Behörde von Utah, wie vorauszusehen war, kürzlich RTK eine Genehmigung erteilt, ihren Tagebau um 32 Prozent zu erweitern, was die Umweltbelastung noch viel schlimmer machen wird.

RTK macht Rekord-Profite – 15 Milliarden Dollar 2011. Im August prahlte der Vorstandsvorsitzende Jan du Plessis, „Rio Tinto hat erneut eine Reihe von bahnbrechenden Ergebnissen erzielt“. Du Plessis ist offenbar auf die Lieferung von Schadstoffen spezialisiert: Es ist auch Vorstandsvorsitzender von British American Tobacco. Tom Albanese, Geschäftsführer von Rio Tinto, der im letzte Jahr annähernd 8,5 Millionen Dollar „verdient“ hat, jammerte neulich, „[Rio Tinto muß] den Fluch des Ressourcen-Nationalismus… und den Aktivismus politischer Aktionäre noch besser bewältigen“. (16) Lassen Sie mich das für Sie übersetzen: Die Menschen vor Ort überall auf der Welt haben es satt, für den Profit ausgebeutet zu werden, sie beginnen für ihre eigenen Interessen einzutreten und Rio Tinto mag das nicht. Bürger von Utah, die der Umweltbelastung durch Rio Tinto überdrüssig sind, gehören demnach zu jenem „Fluch“ von dem Rio Tinto Manager sprechen.

Es ist ganz einfach: RTK könnte sich Sanierungsmaßnahmen leisten, doch sie werden nichts dafür ausgeben und niemand kann sie dazu zwingen. Ihr Beitrag zur Umweltbelastung fügt allen Bewohnern von Salt Lake City Schaden zu und trägt zu den vorzeitigen, oben erwähnten Todesfällen bei. Für Umweltschützer und jene die sich für die allgemeine Gesundheit engagieren, lief das Fass über, als RTK um eine Erweiterungsgenehmigung ersuchte und diese bekam.

Wenn die Grunderkenntnis der Occupy-Bewegung darin besteht, dass Konzerne und die 1 Prozent die Regierung auf allen Ebenen manipulieren, damit sie nur ihren Profit-Zielen dient und zugleich die Interessen der 99 Prozent außer Acht lässt, wenn nicht sogar offen untergräbt, dann gibt es kein besseres Beispiel dafür, als den Betrieb der Bingham Canyon Mine in Utah durch RTK.

Die „Utah Physicians for Healthy Environment“ (Ärzte für eine gesunde Umwelt) schätzen, dass die Verschmutzung durch RTK die Gemeinde mit Kosten für Gesundheit und Umwelt zwischen 2 und 4 Milliarden Dollar belastet, das ist mehr als das, was RTK an Löhnen und Steuern zahlt. Doch dank eines enormen Werbe-Etats kann sich RTK ausgiebigst als „Arbeitgeber“ verkaufen und muss nahezu keine Verantwortung für die umfangreichen Folgen seiner Geschäftstätigkeit für Umwelt und Gesundheit übernehmen.

Frederick Douglass einer der führenden Köpfe der Bürgerrechtsbewegung des 19ten Jahrhunderts sagte: „Wenn man heraus bekommt, was die Leute still zu ertragen bereit sind, weiß man ganz genau, welches Maß an Ungerechtigkeit und Verbrechen sie aushalten werden müssen.“ Alle sollen wissen, dass die Menschen in Utah nicht weiter „still“ mehr Umweltverschmutzung, mehr Tote, verkürzte Lebensspannen und eine schlechtere Gesundheit hinnehmen werden, um die Brieftaschen im Londoner Vorstand von Rio Tinto fetter zu machen. Wir werden uns die Luft zum Atmen „zurück“ holen. [Occupy: Die Demokratie zurück holen!]

Autor: Dr. Brian Moench für Truthout, 22. Januar 2012
Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

Der Original-Text „Utah Doctors Join the Occupy Movement“ wurde unter der Creative Commons Lizenz: by-nc veröffentlicht. Für diese Übersetzung gilt CC: by-nc-sa
Das Foto ist von arbyreed und steht unter CC: by-nc-sa

Weitere CSN Artikel zum Thema Umweltzerstörung und um Occupy:

Referenzen:

1. Calculation by the Utah Physicians for Healthy Environment using the formula published by the American Heart Association. Brook R, Rajagopalan S, Pope CA, Brook J, Bhatnagar A, et al. AHA Scientific Statement: Particulate Matter Air Pollution and Cardiovascular Disease; An Update to the Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation. 2010;121:2331-2378.

2. Peters, A. Air Quality and Cardiovascular Health: Smoke and Pollution Matter. Circulation. 2009: 120:924-927

3. Eugenia E. Calle and Michael J. Thun C. Arden Pope, III, Richard T. Burnett, Daniel Krewski, Michael Jerrett, Yuanli Shi. Circulation. 2009;120:941-948. Cardiovascular Mortality and Exposure to Airbourne Fine Particulate Matter and Cigarette Smoke.

4. Bocskay K, Tang D, Orjuela M, et al. Chromosomal Aberrations in Cord Blood Are Associated with Prenatal Exposure to Carcinogenic Polycyclic Aromatic Hydrocarbons. Cancer Epidem Biomarkers and Prev. Vol. 14, 506-511, Feb 2005

5. Perera F, Tang D, Tu Y, Biomarkers in Maternal and Newborn Blood Indicate Heightened Fetal Susceptibility to Procarcinogenic DNA Damage. Environ Health Persp Vol 112 Number 10 July 2004

6. Gauderman WJ, Gilliland GF, Vora H, et al. Association between Air Pollution and Lung Function Growth in Southern California Children: results from a second cohort. Am J Respir Crit Care Med 2002;166:76-84.

7. Gauderman WJ, Gilliland GF, Vora H, et al. The effect of air pollution on lung development from 10 to 18 years of age. NEJM 2004;351:1057-67.

8. van den Hooven EH, de Kluizenaar Y, Pierik FH, Hofman A, van Ratingen SW, Zandveld PY, Mackenbach JP, Steegers EA, Miedema HM, Jaddoe VW. Air Pollution, Blood Pressure, and the Risk of Hypertensive Complications During Pregnancy: The Generation R Study. Hypertension. 2011 Jan 10. [Epub ahead of print]

9. Raaschou-Nielsen O, Andersen Z, Hvidberg M, Jensen SS, Ketzel M, Sørensen M, Loft S, Overvad K, Tjønneland A. Lung Cancer Incidence and Long-Term Exposure to Air Pollution from Traffic. Environ Health Perspect. 2011 Jan 12. [Epub ahead of print]

10. Pearson J, Bachireddy C, Shyamprasad S, Goldfine A, Brownstein J. Association Between Fine Particulate Matter and Diabetes Prevalence in the U.S.Diabetes Care October 2010 33:2196-2201; published ahead of print July 13, 2010, doi:10.2337/dc10-0698

11. Crouse DL, Goldberg MS, Ross NA, Chen H, Labrèche F 2010. Postmenopausal Breast Cancer Is Associated with Exposure to Traffic-Related Air Pollution in Montreal, Canada: A Case–Control Study. Environ Health Perspect 118:1578-1583. doi:10.1289/ehp.1002221

12. Pearson RL, Wachtel H, Ebi KL. Distance-weighted traffic density in proximity to a home is a risk factor for leukemia and other childhood cancers. J Air Waste Manag Assoc 50(2):175-180.

13. http://www.forbes.com/2011/02/28/most-toxic-cities-personal-finance.html

14. Calculations by the Utah Physicians for a Healthy Environment based on inventory data at the Utah Division of Air Quality.

15. http://www.earthworksaction.org/issues/detail/toxics_release_inventory_what_is_it

16. http://www.thisislondon.co.uk/standard-business/article-23934614-rio-tinto-boss-attacks-governments-for-interfering-in-mining.do

3 Kommentare zu “In Deutschland unvorstellbar: Ärzte verklagen großen Konzern und rufen Occupy!”

  1. melville 25. Januar 2012 um 20:49

    Danke BrunO, netter Input.
    Wenn die Umweltverschmutzung und ihre verheerenden Konsequenzen von der Allgemeinheit richtig realisiert werden, wird der Protest wachsen.

    In Deutschland legen sie jetzt auch mit Fracking los, dann kommt „Freude“ auf wenn das Wasser ungeniesbar wird. Abwarten und Tee trinken ist dann auch nicht mehr.

  2. Twei 26. Januar 2012 um 01:54

    Wer weiß schon wirklich, wie hoch die Kosten der Gesundheits- und Umweltbelastungen sind. Wenn die Welt noch „sauber“ wäre, dann könnte man im Laufe der Jahre mit einer Expositionsverdünnung rechnen. Da die Welt aber seit Jahrzehnten von zig Schadstoffquellen verunreinigt wird, vermag sich weltweit nur der Giftcocktail örtlich zu verändern, aber nicht mehr die hin und her wandernde Umweltbelastung vermindern.

    Was heute den Bewohnern von Salt Lake City schadet und Milliarden Dollarn kostet, wird in 100 Jahren anderen Regionen im Umkreis ebenfalls erhebliche Summen kosten.

    Aber geht es hier denn eigentlich um Geld?
    Der Aufstand der Ärzte und der Bevölkerung signalisiert das richtige Zeichen, um diesem Wahnsinn an Umweltverschmutzung und -belastung ein Ende zu bereiten. Die Gesundheit jedes einzelnen Menschen ist unbezahlbar.
    Die Abbaumethoden haben sich zu verändern und der dann noch übrigbleibende Profit, sollte auf ein gemeinschaftsgerechtes Maß verteilt werden – auch hier in der BRD.

    Häufig schwappen politische und wirtschaftliche Phänomene von Amerika, zeitverzögert auf die BRD über.

  3. PappaJo 29. Januar 2012 um 14:22

    Mr. Jan du Plessis sollte mal nur ein Jahr in direkter Nähe von seiner Mine wohnen. Glaube erst dann wenn seine eigene Gesundheit zu Grunde geht, wird er wach! Dann kann er mal versuchen mit seinem Geld wieder eine neue Gesundheit zu kaufen.

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