Umweltmediziner zur gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Dioxine

Die Belastung der deutschen Bevölkerung mit Dioxinen und verwandten Stoffen ist hoch

Am 8. Januar 2011 erschien in der Stuttgarter Zeitung ein Artikel mit dem Titel: „Dioxin – Gesundheit nicht beeinträchtigt“. Der Beitrag, beginnt mit folgender Aussage von Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin:

„Selbst wenn jemand mehrere mit Dioxin belastete Eier gegessen haben sollte, muss er nun nicht mit gesundheitlichen Folgen rechnen…“

Der Artikel veranlasste den erfahrenen HNO-und Umweltmediziner Dr. Michael Jaumann zu nachfolgendem Statement an den Herausgeber. Dr. Jaumann beschäftigt sich seit über zwei Jahrzehnten intensiv mit Umweltmedizin und ist u.a. Mitglied des Ausschusses „Umwelt und Prävention“ in der Ärztekammer Baden-Württemberg.

Sehr geehrte Frau Volz,

vielen Dank für Ihren Artikel zum Thema der möglichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Dioxine und verwandte Stoffe. Als Arzt und Umweltmediziner – der sich seit über zwanzig Jahren mit dem Thema Dioxin aus umweltmedizinischer Sicht befasst – kann ich dieser, die Situation „verharmlosenden“ Stellungnahme seitens des Herrn Jürgen Thier-Kundke vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nicht zustimmen. Richtig und wichtig ist nur, dass wir unnötige und vermeidbare zusätzliche Belastungen vermeiden sollten (dies besonders deshalb, da wir in Deutschland weltweit die mit am höchsten belastete Bevölkerung haben). Diese äußerst wichtige Zusatzinformation seitens des BfR fehlt, warum auch immer.

Heutzutage werden von unseren Bauern die meisten Pflanzen mit Düngern und auch Pflanzenschutzmitteln (chlororganische Verbindungen) während dem Wachstum behandelt. Diese sind eine mögliche Quelle die in der weiteren Verarbeitung zu Dioxin etc. führen könnte. Ein weiterer Aspekt ist, dass unser gesamtes Ackerland in Deutschland mit Dioxinen belastet ist und diese Stoffe aus dem Boden aufsteigen und sich auf den dort wachsenden Pflanzen niederschlagen. Dies in einer Höhe von zehn bis fünfzehn Zentimetern über dem Boden. Dies wäre die zweite mögliche Quelle für entsprechende Vorläufermoleküle die dann zu Dioxinen führen. Diese Pflanzen werden von den Tieren gefressen und diese Stoffe reichern sich im Fettgewebe der Tiere (und später der Menschen) an und werden quasi nie mehr abgebaut. Eine sich lebenslang anhäufende Belastung im körpereigenen Fett ist die Folge. Aus diesen Gründen sind Vegetarier, die sich aus konventionell angebauten Pflanzen ernähren oftmals sogar höher belastet.

In Göppingen hatten wir vor Jahren heftige Diskussionen über die Auswirk- ungen der Müllverbrennungsanlage (MVA). Deren Abgase haben in der Umgebung zu einer erhöhten Belastung der Böden mit Dioxinen und verwandten Stoffen geführt. Es drohte eine Einschränkung für die Bauern seitens des Umweltministeriums. Untersuchungen bei dort aufgewachsenen Lämmern ergaben eine Belastung des Muskelfleisches mit 24,7 pg/gramm Gesamt-TEQ an Dioxinen und Verwandten. Eine einmalige Fleischportion von 200 Gramm würde fast der Gesamtjahresdosis für diese Stoffe entsprechen die man seitens der Behörden für „ungefährlich“ hält.

Für mich als Arzt, der für die Menschen in seinem Umfeld Verantwortung trägt, ist dies nicht akzeptabel. Niemand kennt die langfristigen Auswirkungen (z.B. rasant steigende Allergiker-Raten in Deutschland u.ä.?).

Deshalb halte ich die nachfolgende Einschätzung für enorm wichtig:

Zum Thema gesundheitlicher Auswirkungen und Risiken durch Dioxine wurde im Jahr 1994 eine Neu-Bewertung der Dioxine seitens der US-amerikan- ischen Umweltbehörde (US-EPA) veröffentlicht die auch heute noch im vollen Umfang gültig ist: der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die vorhandene Evidenz ausreicht, Dioxine und verwandte Verbindungen als höchstwahrscheinlich krebserregend für den Menschen einzustufen, und dass auch andere negative Auswirkungen schon bei sehr niedrigen Konzentrationen eine womöglich nach wichtigere Rolle spielen.

Von größerer Bedeutung könnten Entwicklungsstörungen, Effekte auf das Immunsystem und auf die Reproduktion sein. Speziell aufgeführt sind eine reduzierte Fähigkeit des Immunsystems auf Infektionen zu reagieren, eine Verminderung der Fortpflanzungsfähigkeit und ein Anstieg an Endometriose, einer zunehmenden Ursache für Unfruchtbarkeit junger Frauen.

Wichtig ist, dass die US-EPA in der Zusammenfassung darauf hinweist, dass solche Effekte im Tierversuch bei außerordentlich niedriger Belastung festgestellt wurden und zwar bei Konzentrationen die der durchschnittlichen Belastung der Bevölkerung entsprächen (hier ist auch zu bedenken, dass die Belastung der deutschen Bevölkerung mit Dioxinen und verwandten Stoffen deutlich höher liegt wie die der USA-Bevölkerung).

Sehr geehrte Frau Volz,

es würde mich freuen, wenn Sie Ihren Lesern diese ergänzenden Informationen zukommen lassen könnten.

Gerne stehe ich Ihnen für weitere Informationen zur Verfügung

mit freundlichen Grüssen und bestem Dank

Dr.med. Michael P. Jaumann

Marktstr.16

73033 GOEPPINGEN

Arzt für HNO, Stimm- und Sprachstörungen und Umweltmedizin

Mitglied im Ausschuss Umwelt und Prävention der Ärztekammer Baden-Württemberg

Landesvorsitzender Württemberg Berufsverband deutscher HNO-Ärzte

p.s.

TEQ sind Toxizitäts-Äquivalente. Mit diesen wird die Giftigkeit der einzelnen Stoffe (Dioxine, Furane und polychlorierte Biphenyle (PCBs) bewertet und es kann dann die Belastung von z.B Muskelfleisch in einem zusammenfas- senden Wert gemessen werden.

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6 Kommentare zu “Umweltmediziner zur gesundheitlichen Beeinträchtigung durch Dioxine”

  1. Gerhard Becker 12. Januar 2011 um 18:39

    Wie gut, dass es noch standhafte, ehrliche und aufrichtige Mediziner, wie Dr. Jaumann gibt.

    Was er in diesem, sehr informativen, Artikel beschrieb, ist haarsträubend, aber gleichzeitig typisch Teflon-regierungsdeutsch, denn die deutschen Regierungen stellten sich fast immer vor der Industrie. Nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, unternimmt sie zähneknirschend Schritte für den Schutz der Bevölkerung, die aber meist nur halbherzig sind.
    Allergien sind oft die Vorläufer für MCS. Wenn Dioxine Allergien massiv begünstigen, dann muss man der Politik fast schon Körperverletzung vorwerfen, und sicher nicht nur fahrlässige…

    Dr. Jaumann gebürt aufrichtigen Dank für seinen Artikel!

    Gruß Gerhard

  2. Hejü 12. Januar 2011 um 18:44

    Vertuscht, verheimlicht und verraten – so oder ähnlich kann man die Informationen bezüglich Dioxin und anderer Schadstoffe bezeichnen. Erinnern wir uns nicht an die Seveso – Katastrophe, da wurden wir noch „umfassend“ über dieses Umweltgift informiert. Heute tönt eine Ministerin ‚ keine Gefahr‘ und gleichzeitig wird ein ganzer Schweinebestand gekeult. Man muss erst mal prüfen, so ein Quatsch aus Artikel des GG ist eindeutig die kriminelle Handlungsweise der Futtermittelindustrie abzuleiten. Mische solange bis man gerade unter den Grenzwerten ist, dann ist alles gut. Von Wegen das Gift reichert sich an – und wann geht der so langfristig verseuchte zu Grunde. MCS reicht mir, ich brauche nicht noch mehr.
    Wehrt Euch, lasst Euch nicht durch das unqualifizierte Gequassel von politischen Marionetten der Industrie verblöden.

  3. Stables 12. Januar 2011 um 19:07

    Der stern enthüllt: Dioxin Skandal – Nicht einmal 200 Kontrolleure für 330.000 Futtermittelbetriebe – Große Prüflücken bei kleinen Unternehmen.

    Noch Fragen? Ich nicht.

    Vielen Dank an Dr. Jaumann für sein Engagement und seinen Leserbrief!

  4. kf-forum 18. Januar 2011 um 18:42

    Habe die Redaktion von FAKT (MDR) auf den Artikel aufmerksam gemacht, nachdem die gestern eine Verharmlosungssendung mit einem Typen vom BfR und Herrn „Superexperten“ Pollmer gebracht haben …

  5. kf-forum 9. Februar 2011 um 17:17

    FAKT hat geantwortet: Der TV-Beitrag sei einwandfrei ….

  6. Franka 13. April 2011 um 16:54

    Hallo alle miteinander,
    kann der Meinung von @Gerhard Becker nur zu stimmen. Aber vielleicht hat es auch was gutes, solche Lebensmittelskandale. Man muss sich mal überlegen, wie viele Menschen durch solche Skandale überhaupt erst aufmerksam auf Tierquälerei oder ähnliches werden. So ist wohl schon der ein oder andere Vegetarier „entstanden“ ;). Ich habe einen interessanten Artikel über die http://www.gesund-gleich-lecker.de/20110209/lebensmittelskandale-sind-gut/ Auswirkungen der Lebensmittelskandale gelesen. Kann Euch das nur empfehlen.

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