Envio PCB-Skandal: Die Opfer stehen im Regen

Dortmund, ein Entsorgungsbetrieb gerät Anfang 2010 in die Schlagzeilen. Envio, eine Recycling GmbH, steht in dringendem Verdacht, sorglos bei der Handhabung von PCB-verseuchten Transformatoren umgegangen zu sein. Im Blut von Angestellten und Nachbarn des Recycling-Betriebs findet sich die hochtoxische und krebserregende Chemikalie PCB. Auch die umliegenden Gärten sind hochgradig verseucht. Envio weist zu jenem Zeitpunkt jede Schuld von sich. Jetzt, im zweiten Halbjahr 2010, wird erkennbar, dass die Angestellten und Anwohner sich auf einen langen Kampf einstellen müssen. Hilfe erhielten sie bislang nicht etwa von den Verantwortlichen und zuständigen Behörden, sondern in erster Linie von den Medien. Ohne die Zeitung DER WESTEN wären kaum Fakten an die Öffentlichkeit gedrungen. Fast 160 Artikel veröffentlichte die Zeitung seit Januar 2010 und half damit den Opfern beträchtlich. Ohne diese Berichterstattung wäre mit ziemlicher Sicherheit längst „Gras“ über den Skandal gewachsen. Die PCB-Opfer wollen kämpfen, DER WESTEN steht ihnen durch unterstützende Berichterstattung bei. Die Journalisten der Zeitung sind längst selbst zu PCB-Experten geworden und scheuen keine Mühe.

Behörden und Berufsgenossenschaften mauern

In der aktuellen Ausgabe von DER WESTEN ist ein Bericht mit dem Titel “Droht Envio-Opfern ein Gutachter-Krieg?” zu lesen, der den Betroffenen eine Richtung für weiteres Vorgehen aufweist und Hintergrundinfos für ihren Weg zur Sicherstellung von Recht und Entschädigung liefert. Im Artikel wird Abekra, ein in Hessen ansässiger Verein, der sich um arbeits- und berufsbedingt Erkrankte kümmert, zitiert. Die Leiterin, Frau Dr. Vogel, kann auf eine fast 20-jährige Erfahrung zurückblicken. Sie kennt, wie kaum ein anderer, die Verfahrens- und Verschleppungstaktiken von Behörden und insbe-sondere die Maschen der Berufsgenossenschaften. Dem pflichtet der auf Erfahrung mit ähnlichen Fällen zurückblickende Stuttgarter Anwalt Hans-Peter Herrmann zu. Im Interview mit DER WESTEN rät der Fachanwalt für Medizinrecht den Geschädigten mit Nachdruck zu umgehender medizinischer Beweissicherung durch neutrale Ärzte.

Ebenfalls zitiert wurde das CSN – Chemical Sensitivity Network. Zwei ausführliche Interviews waren Basis dafür. Silvia K. Müller, Präsidentin des CSN, ist sich wie Frau Dr. Vogel bewusst, dass die Betroffenen in Dortmund fachmännische Hilfe benötigen, denn auch sie erlebte in den vergangenen beiden Jahrzehnten, dass man die Opfer in der Regel im Stich lässt. Umso erfreuter ist die CSN-Präsidentin, dass sich DER WESTEN dem Envio-Skandal angenommen hat und keine Ermüdung in der Berichterstattung aufkommen lässt. Darin sieht sie eine enorme Chance für die Opfer.

Skandalöse Aussagen zum Nachteil der Betroffenen

Silvia K. Müller verfolgte den PCB-Skandal von Anfang an. Sie war vor allem über die Aussage der Dortmunder Gesundheitsamtsleiterin empört, die geäußert hatte, dass man das Blut der unter 14-jährigen Kinder von Envio-Arbeitern und Anwohnern des Werksgeländes nicht untersuchen müsse. Das Zitat hierzu:

DER WESTEN: Kinder unter 14 Jahren sollen laut Dr. Annette Düsterhaus, Leiterin des Dortmunder Gesundheitsamtes, zunächst nicht untersucht werden, „um ihnen die Belastung der Blutentnahme zu ersparen“. Dr. Annette Düsterhaus: „Außerdem gibt es keine Therapiemöglichkeiten bei einer PCB-Anreicherung im menschlichen Körper.“ Die Expertenrunde um Prof. Michael Wilhelm (Ruhr Uni), die die Blutuntersuchungen der Mitarbeiter bewertete: „Wegen der langen Verweildauer von PCB im menschlichen Körper lassen sich spätere gesundheitliche Auswirkungen nicht ausschließen.“

Für die CSN-Präsidentin war klar, wenn die Eltern auf Blut- und Fettgewebsanalysen verzichten, dann können auch später folglich keine Ansprüche geltend gemacht werden. Auch Kinder, nicht nur Erwachsene, haben einen Rechtsanspruch und einen Anspruch auf Gesundheit. Ohne die versagten Blutanalysen hätte niemand etwas Beweiskräftiges in der Hand. Das kommt Verursachern und Verantwortlichen natürlich gelegen und zählt zu deren üblichen Procedere.

Die Aussage “Entgiftung von PCBs nicht möglich” ist wissenschaftlich unkorrekt

Auch die zweite Aussage der Dortmunder Gesundheitsamtsleiterin gegenüber DER WESTEN – es gäbe keine Therapiemöglichkeiten bei einer PCB-Anreicherung im Körper – ist eine Fehlinformation, die Betroffene in die Irre führt. PCBs kann man sehr wohl entgiften, wenn auch mit einem gewissen Aufwand.

Um dies zu belegen führt die CSN-Präsidentin Prof. Dr. William J. Rea an, einer der Mitbegründer der Umweltmedizin und erster Professor für Umweltmedizin weltweit. Der Experte für Chemikalienschädigungen und Chemikaliensensitivität legte in seinem vierbändigen Buch „Chemical Sensitivity“ dar, dass man PCB’s sehr wohl entgiften kann. Prof. Rea bezieht sich unter anderem auch auf die Angaben eines deutschen Umweltmediziners (Dr. Thomas Meyn). In einer Tabelle, in dem als Standardwerk geltenden Fachbuch, werden die PCB-Werte von 60 Patienten vor und nach einer Entgiftungsbehandlung angegeben. Eine Kombination von spezieller Saunaentgiftung und begleitendem Körpertraining führte zur Mobilisierung von PCBs im Körperfett, wodurch sich die PCB Werte der Patienten im Schnitt um fast die Hälfte reduzierten. Rea berichtet in seinem Buch weiter, dass 100 seiner Klinikpatienten, die mit PCB und PBB belastet waren, nach einer Entgiftung in einer Temperaturkammer 64-75% Reduzierung der PCB-Belastung und ihrer Beschwerden aufweisen konnten. Bei einer dokumentierten Gruppe von 1000 Patienten reduzierte sich deren Belastung im Schnitt um 71%.

PCB-Opfer sollten sich organisieren und müssen durchhalten

Die Betroffenen im Envio-Skandal müssen nicht ganz hoffnungslos in die Zukunft schauen, sie haben die Medien hinter sich, ein wichtiger Aspekt, damit der Fall nicht zum Ruhen kommt. Jetzt müssen sie sich nur noch gut organisieren, Beweise und Informationen zusammentragen, damit steigen ihre Erfolgsaussichten. Das Internet kommt den PCB-Geschädigten entgegen, denn jeder, der Informationen braucht, wird mit etwas Mühe fündig. So kann man auch Falschinformationen schnell enttarnen und für eine Veröffentlichung der Tatsachen sorgen. Das Beispiel einer 81-Jährigen, die ebenfalls durch ihren damaligen Beruf erkrankte, bestätigt dies. Die aktive Seniorin hat eine informative Webseite zum Thema GIFTE AM ARBEITSPLATZ erstellt, über die im CSN Blog berichtet wurde. Für die PCB-Opfer in Dortmund könnte dies ein kleiner Impuls sein, der ihnen Mut macht, gemeinschaftlich die Kräfte zu bündeln, um dem entgegenzuwirken, dass man sie weiter eiskalt im Regen stehen lässt.

Autoren: Silvia K. Müller und Thommy, CSN – Chemical Sensitivity Network, 3. August 2010

Photo: Jahreed für CSN

Literatur:

  1. DER WESTEN, Droht den Envio-Opfern ein Gutachter-Krieg?, 03.08.2010
  2. DER WESTEN, Envio PCB Skandal weitet sich aus, 29.06.2010
  3. William J. Rea, Chemical Sensitivity, Lewis Publisher, 1997

Weiterführende Informationen:

9 Kommentare zu “Envio PCB-Skandal: Die Opfer stehen im Regen”

  1. Eike 3. August 2010 um 22:32

    Danke für diesen wichtigen Beitrag.

    Immer diese auffälligen Parallelen der Vorgehensweisen bei Chemikalienerkrankungen am Arbeitsplatz.

    Auffällig ist, dass z.B. Prof. Kraus von der RWTH Aachen in die PCB-Problematik bei Envio in Duisburg involviert ist und von der BG die Arbeitsmedizinische Abteilung der RWTH Aachen als Anlaufstelle für die PCB belasteten Envio Beschäftigten auserkoren worden ist.

    Prof. Kraus (Erlanger Schule – Erlanger Studie) ist Fachmann für „Asbest“.
    Bei Belastungen mit Asbest geht es vorrangig um Erkrankungen der Lunge.

    Durch PCB werden ganz andere Symptome und Erkrankungen verursacht.

  2. Princess 3. August 2010 um 22:32

    Dass die Dortmunder Gesundheitsamtsleiterin von Blutproben bei Kindern abrät, ist mir völlig unverständlich und andererseits dann doch verständlich.

    Wie kommt es plötzlich zu der vermeintlichen Rücksichtnahme gegenüber Kindern unter 14 Jahren? So ein kleiner Pieks beim Blutabnehmen kann sicherlich nicht so schlimm sein. Als es vergangenes Jahr allgemein darum ging, den Schweinegrippenimpfstoff unter´s Volk zu bringen, waren dafür sogar Babys willkommene Zielobjekte.

    Was hier geschehen soll, ist Vertuschung aller feinster Sahne, damit von den Gift-Opfern keine Regressansprüche gestellt werden. Ich kann allen Betroffenen nur raten AllES bis ins feinste Detail untersuchen zu lassen. Ich selbst wurde u. a. durch mangelnde Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz schwer krank und ich habe keinen Cent von der BG erhalten, weil man emsig und mit vereinten Kräften vertuscht, was nicht sein darf.

  3. Juliane 4. August 2010 um 07:53

    @Eike

    Stimmt Eike, warum eigentlich Krause?
    Ewers aus Gelsenkirchen http://www.hyg.de/ hat da ja mehr „PCB Hintergrund“.

    Ewers ist Leiter des Fachbiets Umwelttoxikologie und Umweltmedizin:

    Prof. Dr. Ulrich Ewers ist der Vorsitzende der Kommission Human-Biomonitoring des Umweltbundesamtes
    http://www.hyg.de/ueberuns/andetail/ewers.html

    Warum ist der Mann noch nicht aktiv in Sachen Envio ?

    Für was hat man denn eine Kommission Human-Biomonitoring?

    Oder gibt es gewisse Hemmschwellen?

    http://www.csn-deutschland.de/forum/showthread.php?id=13638

    Nun wir haben Ewers ja schon desöfteren in der Rolle Beschwichtigers erlebt.
    Insbesondere, wenn es um Innenraumluftbelastung durch PCB an Schulen ging.

    Der Fall Envio wird aber sicher auch einen „Risikomanager“ wie Ewers zum Nachdenken bringen.

  4. Juliane 4. August 2010 um 08:03

    @ Princess

    Natürlich müssen auch die Kinder untersucht werden.

    Und nicht nur die, Princess.

    Der Fall Enviowird auch noch die nächste Generation betreffen.

    Schau mal hier in den Vortrag:

    Endokrin wirksam + persistent: PCB in gestillten Kindern

    Kinder-Umwelt-Survey, Umweltprobenbank

    Human-Biomonitoring-Kommission:

    http://www.helmholtz-muenchen.de/fileadmin/infostelle-humanbiomonitoring/pdf/Bonn/humanbiomonitoring_vortrag_kolossa.pdf

    Also in Sachen Envio müsste eine flächendeckende Untersuchung erfolgen.

    Die Experten wissen durchaus, um was es geht.

  5. PappaJo 4. August 2010 um 10:00

    Hier wird streng und nach allen Regeln der Kunst gearbeitet! Wie auch in anderen Fällen und Skandalen wird beschwichtigt und runtergespielt. Der Aufmerksame Beobachter würde dazu „Vertuschung“ sagen!

    So geht man nunmal mit dem Gesinde um.

    Denn nur zum arbeiten sind sie da…..

  6. Juliane 4. August 2010 um 12:16

    Es gibt Vergleichsdaten aus dem KUS.

    Bei ALLUM kann man lesen:

    „Die im Rahmen des aktuellen Kinder-Umwelt-Surveys (KUS) gemessene PCB-Belastung im Blut 3 – 14-jähriger Kinder beträgt durchschnittlich 0.206 Mikrogramm pro Liter (geometrischer Mittelwert, Stand Juni 2007). “

    Autoren: Dr. M. Otto, Prof. K. E. von Mühlendahl

    Stand: August 2009
    Nächste Aktualisierung: August 2010

    http://www.allum.de/index.php?mod=noxe&n_id=10

    http://www.allum.de/index.php?mod=noxe&lang=true&n_id=10

  7. J. H. 4. August 2010 um 15:03

    Die Masche, die seitens der Behörden in diesem Skandal abgezogen wird, ist pure Verschleierungstaktik. Logisch müssen auch die Blutproben von Kindern und Babys untersucht werden. Und von wegen, bei einer PCB-Vergiftung kann man therapeutisch nichts machen.

    Zitat: „Auch die zweite Aussage der Dortmunder Gesundheitsamtsleiterin gegenüber DER WESTEN – es gäbe keine Therapiemöglichkeiten bei einer PCB-Anreicherung im Körper – ist eine Fehlinformation, die Betroffene in die Irre führt. PCBs kann man sehr wohl entgiften, wenn auch mit einem gewissen Aufwand.

    Um dies zu belegen führt die CSN-Präsidentin Prof. Dr. William J. Rea an, einer der Mitbegründer der Umweltmedizin und erster Professor für Umweltmedizin weltweit. Der Experte für Chemikalienschädigungen und Chemikaliensensitivität legte in seinem vierbändigen Buch „Chemical Sensitivity“ dar, dass man PCB’s sehr wohl entgiften kann.“

    Genau das ist der Punkt in Deutschland, mir wollte man auch nach der Diagnosestellung MCS erzählen, dass man bei Multipler Chemikalien Sensitivität nichts machen kann. Doch das stimmt nicht, zu einen können gewissenhafte Umweltmediziner versuchen herauszufinden, was den Patienten krank gemacht hat. Dann kann man
    die Auslöser meiden. Ebenso mit Sauna, Umstellung der Ernährung und Gabe von Vitaminen etc. lässt sich der Gesundheitsstand erheblich verbessern.

    Außerdem, hätten wir in Deutschland eine echte Umweltklinik wie in Dallas, würden sich weitere Verbesserungen von MCS Kranken einstellen. Das alles ist nur eine Frage des Wollens. Aber unsere Behörden und Politiker geben sich lieber zurückhaltend und erzählen Geschichten, die ihren Interessen nachkommen.

  8. Eike 4. August 2010 um 21:57

    @Juliane

    Als Risikomanager wäre Prof. Ewers wohl jetzt nicht so sehr geeignet, da er ja bisher immer zum besten gegeben hat, dass die Aufnahme von PCB auf dem „inhalativen“ Pfad (wie im Fall bei ENVIO) kaum gesundheitliche Auswirkungen habe, da PCB primär auf dem Weg über die Nahrung, hauptsächlich wohl durch Fischkonsum, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen würde.

  9. Energiefox 4. August 2010 um 21:58

    Also ich bin ja ein sogenannter Fox, der versucht, Umweltschutz zu betreiben und von MCS nicht so viel Ahnung hat. Es ist ja leider ein Thema, das in Deutschland sehr vernachlässigt wird.
    Singe gerne im Kirchenchor, nicht weil ich so fromm bin, sondern weil mir Singen Spaß macht.

    Ein schönes Lied ist „Stern auf den ich schaue“

    Kommt sinngemäß drin vor „gibt mir meine Würde wieder her“ ich würde sagen, indem hier so was veröffentlicht wird, kommt eine gewisse Würde wieder her.

    Es ist nämlich sehr unwürdig, wie mit vielen Kranken, sowie noch gesunden Menschen, in Deutschland umgegangen wird.

    Gruß Fox

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