Endzeit – Das Gummiboot

Hochwasser durch Wetterwandel

Die nachfolgende Phantasy – Geschichte wurde zum Blog Action Day 2009 Klimawandel – Climate Change – geschrieben. Phantasy? oder irgenwann doch Reality, wenn wir unseren Planten weiter so behandeln wie jetzt?

Das Gummiboot

Julius Müller und Karl Krause paddelten mit ihrem Gummiboot zwischen den Hochhäusern Berlins. Von den niedrigeren Gebäuden waren bestenfalls die Dächer zu sehen. Hinter sich her zogen sie ein weiteres Gummiboot, gefüllt mit Kisten von Plastikflaschen mit Mineralwasser. Hin und wieder fuhren sie an ausgemergelten Menschen vorbei, die sich mit letzter Kraft auf den Dächern oder schwimmenden Holzbalken festhielten. „Wasser, gebt uns Wasser!“ hauchten sie mit flehender Stimme. Müller und Krause schütteln nur mit dem Kopf. Sie wussten, dass diese Menschen schon längst ihr letztes Geld oder Schmucksachen für eine Flasche Wasser abgegeben hatten. Sie konnten doch nicht die letzten Wasservorräte kostenlos abgeben. Sie waren auf der Suche nach den letzten Reichen, die bereit sind, für das Überleben jede Summe zu zahlen.

Reich! Müller und Krause, ehemals stolze Besitzer einer Firma, die sich weitsichtig, aber dennoch etwas zu spät, auf die Produktion von Gummibooten spezialisiert hatten, bevor die letzte große globale Flut im Jahre 2110 siebzig Prozent des bewohnbaren Festlandes der Erde dauerhaft überschwemmte, konnten sich REICH nennen. Reich ja, aber nur theoretisch. Schon wochenlang dümpelten sie selbst in ihren Gummibooten auf den Strassen Berlins und der Vororte. Dennoch hatten sie die aberwitzige Hoffnung, dass der größte Teil Deutschlands oder Europas in absehbarer Zeit wieder trocken werden und ihr Vermögen von Nutzen sein würde.

Die beiden Männer waren nur durch eine oberflächliche Freundschaft verbunden, oder besser gesagt: Geschäftliche Kollegialität. Diese Verbundenheit beruhte nicht auf Sympathie. Sie entstand durch eine langjährige wirtschaftliche Beziehung, die sie eines Tages dazu brachte, gemeinsam eine Firma zu gründen. Sie achteten einander, ähnelten sich in vielerlei Hinsicht, mochten sich aber darüber hinaus dennoch nicht besonders.

„Karl, ich könnte dich umbringen! Was haben wir nun von diesem Scheiß?“

„Moment mal – Du warst selbst einverstanden damit, dass wir uns auf Gummiboote spezialisierten.“, konterte Müller.

„Ja… ja sicher, aber Du hättest doch wenigstens an die Rohstoffe für unsere Gummiboote denken können. Schließlich stammtest Du aus dieser Branche. So aber lief die Produktion viel zu spät an. Wir hätten halb Europa mit Gummibooten eindecken können.“

„Wasser! Wasser!“, flehte kraftlos ein Verdurstender, der an einem leeren Fass festgebunden war und an den Beiden vorbeitrieb.

„Halts Maul!“, zischte Krause ihn an, bevor er sich an Müller wandte: „Ach so, mir schiebst Du die Schuld in die Schuhe. Hast Du nicht selbst gesagt, Dein Onkel – einer von den sogenannten Wirtschaftsweisen – habe erklärt, die Dynamik des Marktes sorge automatisch dafür, dass sich genügend andere Firmen auf Rohstoffe spezialisieren werden? Und dass diese dann an uns die Rohstoffe für einen Spottpreis abgeben werden, weil es keine anderen Abnehmer mehr geben wird? Stattdessen… “

„Hätte auch funktioniert. Woher sollte ich wissen, dass sich der Großteil der Firmen der früheren Rohstoffproduzenten ebenfalls auf die Herstellung von Gummiboote stürzen aber ihre gesamte Produktion nach China und Indien verlagern wird?“, verteidige sich Krause.

„Woher hätte ich wissen sollen…“, äffte Müller Krause nach. „Vielleicht deshalb, weil sie auch so dachten wie ich Julius? Habe ich Dir nicht immer wieder gesagt, wir müssen nach Asien, weil dort allein über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt? Weißt Du was wir dort für Gummiboote verkauft hätten! Du aber wolltest unbedingt dieses winzige Europa versorgen.“

„Klugscheißer, Du hast das natürlich geahnt.“

„Hab ich auch.“

„Und warum hast Du nie etwas davon gesagt Karl?“

„Hättest Du´s mir geglaubt?“

„Warum denn nicht?“

„Hattest Du mir geglaubt, als ich voraussagte, wir können in Afrika ein großes Geschäft mit Salzwasserpflanzen machen? Nein. Du hast immer nur die Wüsten dort gesehen. Tausendmal habe ich Dir erklärt, dass die Wüsten bald absaufen werden. Du aber setztest weiter auf Salzpflanzen für die Trockenheit. Das gleiche Theater mit Dir, als Südeuropa und Südasien von den Wüsten verschlungen wurden, dann aber ebenfalls absoffen.“

„Ist ja gut,“ beschwichtige Krause.

Ein stinkender aufgedunsener Hundekadaver schwamm an den Beiden vorbei, einen in Regenbogenfarben schillernden Ölfilm hinter sich herziehend. Fliegen umkreisten ihn. Eine der Schmeißfliegen setzte sich auf Müllers Gesicht. Der schrie angewidert auf und versuchte das Insekt zu verscheuchen. Dabei fuchtelte er so heftig mit seinen Armen, dass er das Gleichgewicht verlor und in die dunkelbraune Jauche fiel, die das Stadtgebiet bedeckte.

Krause begriff sofort, dass Müller nicht mehr zu retten war. Er konnte doch unmöglich diesen stinkenden Mitgenossen wieder in das Boot nehmen. Wer weiß, mit was er sich schon infiziert hatte? Ohne zu zögern versetzte er Müller mit seinem Paddel einen Hieb, streifte ihn jedoch nur. Müller starrte mit schreckgeweiteten Augen den verhinderten Mörder an, den er in den letzten Wochen fast für einen Freund gehalten hatte. Eine ausgezehrte Frau mit leerem Blick trieb stumm auf einer Türhälfte an ihn vorbei. „Halt, halt“ so warten Sie doch! Nehmen Sie … äh lassen Sie mich doch mit auf Ihren … ich bin sehr reich. Wenn Sie mich…“

Die Frau zuckte nicht mit einem einzigen Muskel. Das Einzige, was sich an ihr bewegte, waren einige Haarsträhnen, die der Wind sanft schaukeln ließ. Es war unklar, ob sie überhaupt Müllers verlorenes Flehen hörte. Es schien, als sei sie mit der Tür verwachsen.

Krause lachte hämisch. „Ja, ja…Du bist reich. Ruf doch einfach ein Taxi.“

Müller wandte sich wieder Krause zu und schrie: „Du erbärmliches Schwein Du. Was hast Du mir nicht alles zu verdanken? Ohne mich wäre die Firma nie so erfolgreich…“

Krause lachte weiter provozierend: „Firma, Firma … Wo ist denn die Firma?“

Plötzlich schwamm eine Holzlatte an Müller vorbei. An einem Ende lugte die Spitze eines großen Zimmermannsnagels heraus. Krause wusste sofort, was Müller dachte und mühte sich die Gummiboote von Müller wegzutreiben. Doch Müller fasste die Latte mit einem geübten Speerwerfergriff (er war tatsächlich einmal Sperrwerfer in der Nationalmannschaft gewesen) und schleuderte sie mit der Nagelspitze auf das erste Gummiboot. Dann schwamm er dem Speer hinterher, zog ihn aus dem Gummiboot und schwamm zu dem anderen Gummiboot. Krause wollte auf dieses Gummiboot springen, da traf ihn Müller mit der Nagelspitze in den Bauch. Der Getroffene schrie vor Schmerzen, vermochte jedoch noch Müller mit dem Paddel einen Hieb auf die Schulter zu versetzen. Es hörte sich an, als würde ein Knochen splittern. Auch Müller schrie auf. Sein rechter Arm, mit dem er die Latte geworfen hatte, war wie gelähmt. Krause saß zusammengesunken auf eine der Getränkekisten und hielt eine Hand auf die stark blutende Wunde. Mühsam nahm Krause – den die Kräfte zu verlassen drohten –  die Latte in seine andere Hand, um das zweite Boot zu zerstechen.

„Nein!“, versuchte Krause aufzubegehren. „Wir haben doch beide in diesem Boot …“

Doch bevor er den Satz beenden konnte, hatte Krause schon in das Boot gestochen.

„Dir glaube ich kein Wort. Du hättest mich verrecken lassen. Ich verrecke jetzt… ja. Aber Du wirst kaum länger leben.“

Zwei kleine Kinder, tränenlos weinend, trieben an den sinkenden Gummibooten vorbei. „Wasser, Wasser!“

„Halts Maul“, wollte Krause brüllen und dabei Müller einen weiteren Hieb mit dem Paddel versetzen, doch Müller schleuderte mit letzter Kraft die Nagelspitze der Latte in die Brust Krauses. Er hörte, wie Krauses Körper auf die Wasseroberfläche platschte. „Bist sogar vor mir verreckt“, dachte er noch und unerklärlicherweise kam sogar so etwas wie Freude in ihm auf. Mühsam zog er zwei Wasserflaschen aus dem Boot und warf sie den Kindern zu. Dann schlug die braune Oberfläche des Endzeitwassers über seinen Kopf zusammen.

Noch Stunden später fischte hin und wieder ein auf einem Balken oder Baumstamm treibender Mensch eine Wasserflasche aus der Brühe. Ein kranker magerer Fuchs biss vorsichtig in eine Flasche, die sich in einem Gestrüpp verfangen hatte. Gekonnt klemmte er sie in eine Astgabel und ließ den dünnen Wasserstrahl in sein Maul laufen.

Krähen und Möwen saßen als schwarz-weiße Gegenpole auf den Fensterbrettern der Hochhäuser, geeint durch ihren Appetit auf Aas.

Ratten tummelten sich auf den aufgedunsenen Kadaver von Tier und Mensch, als seien es Flösse. Gut genährt kamen sie sogar auf engem Raum ohne Zank aus…

Blog Action Day

Autor: Gerhard Becker, CSN – Chemical Sensitvity Network, 14. Oktober 2009 – World Blog Action Day

6 Kommentare zu “Endzeit – Das Gummiboot”

  1. Energiefox 16. Oktober 2009 um 10:00

    Gerhard die Polkappen schmelzen, laßt uns schnell eine Gummibootfirma gründen. Ich denke wir würden uns aber nicht die Köppe einhauen.
    Ganz nah am Zeitgeschehen Dein Blog und doch viele leugnen noch den Klimawandel durch Menschenhand.
    Gruß Energiefox

  2. Gerhard Becker 16. Oktober 2009 um 12:24

    Legen wir los Energiefox … :-)

    Vorher noch schnell eine deutschlandweite Hausordnung durchboxen, wonach in jedem Wohnhaus je Haushalt ein selbstaufblasbares Gummibot oder eine Rettungsinsel vorhanden sein muss, desweiteren wasserdichte Notfall-Nahrungsmittel-Reserve-Kanister (und hier speziell auch MCS-Gerechte, glutenfreie, histaminfreie Nahrung, je nach Grunderkrankung) sowie Trinkwasserkanister oder auch Wasseraufbereitungsanlagen …

    Gruß Gerhard

  3. Maria Magdalena 17. Oktober 2009 um 15:49

    Hallo Gerhard,

    ein Horrorszenario, sehr gelungen mit grotesken Elementen dargestellt. Ich hoffe, es kommt nie so weit, dass wir in der dreckigen Giftbrühe schwimmen müssen.

    Der Stil ist gut geeignet, um dem Leser die Fratze des von blinder menschlicher Dummheit und Gier verursachten Untergangs unserer unvollkommenen und unbelehrbaren Zivilisation zu präsentieren.

    Die beiden Kinder, denen Müller zwei Flaschen Wasser zuwirft, können als optimistischer Stern der unsterblichen Hoffnung interpretiert werden, den Du am Himmel Deiner Vision gesichtet hast, Gerhard.

    Gruß
    Maria Magdalena

  4. Gerhard Becker 17. Oktober 2009 um 16:15

    Hallo Maria Magdalena,

    vielen herzlichen Dank für Deine fachlich-professionelle Kritik. :-)

    Gruß Gerhard

  5. Maria 17. Oktober 2009 um 22:47

    Hallo Gerhard,

    auch hier wieder ein besonders gelungener Beitrag. Du hast viele Talente. Schön dass Du uns daran teilhaben lässt.

    Von mir bekommst Du heute das ganz besondere Fleißkärtchen!

    Lieben Gruß,
    Maria

  6. Gerhard Becker 17. Oktober 2009 um 23:33

    Hallo Maria,

    vielen Dank für Deine lobenden Worte und der Auszeichnung!

    Lieben Gruß

    von Gerhard

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