Zweifelhafte Chemikalien im Golf von Mexiko im Einsatz

Diskussion der Dispergiermittel

(Living on Earth – Radiointerview)

BP setzt mehrere hunderttausend Gallonen (3.785 Liter) an Dispergiermittel ein, um zu verhindern, dass der Ölteppich im Golf von Mexiko die Küste erreicht. Es gibt jedoch wenige Daten über die ökologische Wirkung dieser Chemikalien. Der Gastgeber der Sendung Jeff Young unterhält sich mit Dr. Nancy Kinner vom Coastal Response Research Center (Forschungszentrum für Küstenschutz) der Universität von New Hampshire darüber, weshalb es auf wichtige Fragen zu Dispergiermitteln keine Antwort gibt.

YOUNG: Aus den Jennifer und Ted Stanley Studios in Somerville, Massachusetts – dies ist Living on Earth (Leben auf der Erde). Ich bin Jeff Young.

Die Bundesbeamten sagen, es ist ein Ernstfall, wo jede Hand gebraucht wird, ein Rund um die Uhr Einsatz an allen sieben Wochentagen, um die sprudelnde Ölquelle im Golf von Mexiko unter Kontrolle zu bekommen. Doch eines der Hauptinstrumente, die Schadenswirkung des Öls zu minimieren, ist mit einer Reihe eigener Probleme verbunden. Etwa 400 Tausend Gallons (1.5 Millionen Liter) chemischer Dispergiermittel wurden auf die Wasseroberfläche gesprüht und tief im Meer freigesetzt, um den Abbau des Öls zu beschleunigen. In einer Presse-Telekonferenz sagte die Leiterin der EPA (Umweltschutzbehörde) Lisa Jackson, dass diese Dispergiermittel ihrerseits mit Nachteilen verbunden wären und dass sich Wissenschaftler unsicher wären, auf welche Art sie das maritime Leben beeinträchtigen könnten.

JACKSON: Dispergiermittel sind nicht die Zauberlösung. Sie werden eingesetzt, um uns dem kleineren Übel von zwei problematischen Umweltresultaten anzunähern.

YOUNG: Ein Gutachten der National Academy of Sciences (Staatliche Akademie der Wissenschaften) von 2005 kam zu dem Schluss, „das Verständnis der wichtigsten Vorgänge ist in vielerlei Hinsicht unzureichend, um guten Gewissens einen Entscheidung über den Einsatz von Dispergiermitteln zu befürworten“. Wir wendeten uns an Dr. Nancy Kinner, um mehr darüber zu erfahren. Sie leitet das Coastal Response Research Center der Universität von New Hampshire; es ist eine Vermittlungsstelle für Informationen zur Ölkatastrophenhilfe.

KINNER: Nach meiner Ansicht ist unser Wissen über Dispergiermittel unzureichend. Es gibt immer noch eine ganze Menge von Unbekanntem dort draußen und offen gesagt war die Finanzierung dieser Arbeit sehr begrenzt, was einer der Gründe ist, weshalb viele dieser Fragen immer noch unbeantwortet sind.

YOUNG: Warum hat man das nur begrenzt erforscht, denn ich erinnere mich, dass dieses Thema, ob man Dispergiermittel einsetzen soll oder nicht, während des Exxon Valdez Unfalls im Jahre 1989 erneut hochkam – glauben Sie, dass es nun entsprechende Forschung geben wird?

KINNER: Aufgrund des Oil Pollution Act von 1990 (Öl-Schadensgesetz) wurden viele Forschungsmittel bewilligt, aber wie es oft so ist, wenn man so eine Katastrophe wie Exxon Valdez hat, werden diese Mittel niemals wirklich bereit gestellt.

YOUNG: Also wollte der Congress theoretisch diese Forschung finanzieren, hat diese Knete aber niemals wirklich durchbekommen?

KINNER: Nun, nicht nur der Congress. Auch die Industrie hat ihre Forschung- und Entwicklungsprogramme zurückgestutzt, damit war dies ein allgemeines Problem. Und es wurde immer gesagt, dass wir keine großen Ölunfälle mehr haben.

YOUNG: Nun hat BP große Mengen dieser chemischen Lösungsmittel eingesetzt und versucht, das Öl abzubauen. Wie funktionieren diese Dispergiermittel und welche Nachteile hat es, sie einzusetzen?

KINNER: Das allgemeine Prinzip der Dispergiermittel beruht darauf, dass es im Wesentlichen eine sogenannte grenzflächenaktive Substanz ist – ein Teil ist in Öl löslich und der andere Teil ist wasserlöslich. Was man macht, ist große mit Dispergiermittel beladene Flugzeuge einzusetzen, die mit Düsen ausgestattet sind, welche es über dem Wasser versprühen, und dann verursacht die Bewegung des Wassers Turbulenzen, die einzelne Öltröpfchen aus dem Ölteppich ziehen und im Wasser verteilen. Dabei gibt es einen weiteren wichtigen Faktor, indem der Grad der Turbulenz tatsächlich die Größe der Tröpfchen bestimmt.

YOUNG: Und dann, was bedeutet dies bezüglich der Wirkung des Öls auf das Ökosystem, wo das Öl draußen auf dem Meer aufgelöst wird?

KINNER: Wenn diese sehr kleinen Tröpfchen da sind und mit irgendwelchen Organismen am untersten Ende der Nahrungskette zusammentreffen, könnten sie diese Partikel aufnehmen. Und das könnte nicht gut sein, weil sie dann auch von anderen Organismen aufgenommen werden, usw. Auf der anderen Seite summiert sich die Oberfläche der kleineren, sehr winzigen Tröpfchen zur einer großen Fläche, das bedeutet, sie könnten schneller von Bakterien bevölkert werden und diese Bakterien könnten dann das Öl als Nahrungsquelle nutzen und es abbauen. So gilt es hier Vor- und Nachteile abzuwägen.

YOUNG: Nun sind die Dispergiermittel selber auch in gewissem Umfang giftig – inwieweit muss man sich da Sorgen machen?

KINNER: Es gab ein paar Arbeiten über die Toxizität der Dispergiermittel und der Grundgedanke war immer, dass die Toxizität keine große Rolle spielt, weil sich das meiste des Dispergiermittels mit dem Öl verbindet und nicht sehr viel davon im Wasser übrig bleibt. Unglücklicherweise haben wir dazu nicht viele Daten, um bei einer Ölkatastrophe wie dieser, wo wir so viel davon einsetzen, wirklich belegen zu können, welcher Anteil sich tatsächlich mit dem Öl verbindet und welche Folgen die Toxizität haben könnte.

YOUNG: Ich vermute, dass es sich bei den meisten anderen Ölkatastrophen, bei denen Dispergiermittel zum Einsatz kamen, in der Tat nur um ausgelaufenes Öl handelte; eine gewisse bekannte Menge lief z.B. aus einem beschädigten Tanker aus. In welchen Maße unterschieden sich diese Situationen von jener, mit der wir es jetzt zu tun haben bezüglich der Entscheidung, ob man Dispergiermittel einsetzen soll oder nicht?

KINNER: Nun, wenn man Dispergiermittel gegen ausgelaufenes Öl einsetzt ist das eine völlig andere Situation als das, was wir möglicherweise hier haben, den wir haben einen ununterbrochenen Einsatz von Dispergiermittel und das Öl wird kontinuierlich freigesetzt, unter Umständen für einen sehr langen Zeitraum. Und so gibt es möglicherweise eine andauernde Belastung für Organismen und das kann für ein Ökosystem viel mehr Wechselwirkungen und Schäden nach sich ziehen.

YOUNG: Was ist also Ihre Empfehlung, wenn die Leute in Ihr Zentrum kommen und fragen „Was sollen wir tun?“, was erzählen Sie Ihnen?

KINNER: Nun, ich denke nicht, dass wir genug über Dispergiermittel wissen. Jedoch, während ich das gesagt habe, gerade jetzt haben es die Küstenwache, die Bundesbehörden und die Leute von der Industrie mit einer Ölkatastrophe zu tun, die sehr, sehr groß ist und keinerlei Anstalten macht, wieder abzunehmen.

Und es wurde die Entscheidung getroffen, dass es die beste Strategie ist, das Öl so weit wie möglich von den Sumpfgebieten [an der Küste] fern zu halten, es aus diesen empfindlichen Gebieten heraus zu halten und die einzige Möglichkeit, die man hat, dies zu erreichen, insbesondere wenn das Wetter nicht mitspielt und es Wind und Wellen gibt, besteht darin, Dispergiermittel hinzuzufügen. Es wird weitere Unfälle geben, Ich denke das ist so – wenn man nach Öl bohrt, besteht die Wahrscheinlichkeit von Unfällen. Die Frage ist, ob man mit den Folgen eines solchen Unfalles leben kann?

YOUNG: Dr. Nancy Kinner leitet das Coast Response Research Center an der University of New Hampshire. Haben Sie vielen Dank.

KINNER: Gern geschehen, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Copyright © 2010 Living on Earth and World Media Foundation

Quelle: Transcript einer Sendung von Living on Earth, Mai 2010

CSN dankt Living on Earth für die Genehmigung den Beitrag übersetzen und veröffentlichen zu dürfen.

Photo: CC Photo by Otto Candies/uscgpress

Übersetzung: BrunO für CSN – Chemical Sensitivity Network

MP3 Audio des Original-Beitrages (Engl.)

Anhang

Living on Earth produziert immer wieder interessante Sendungen zu Umwelt-Themen, die von Public Radio International verteilt und jede Woche von etwa 300 Radiostation übernommen werden. Diese Sendungen erreichen etwa 80% aller Amerikanischen Zuhörer.

Einen etwas früheren Artikel von ProPublika zum gleichen Thema durften wir leider nicht übersetzen. Darin werden mögliche Gefahren durch die Dispergiermitteln noch detaillierter aufgezeigt. Zum einen könnten die Dispergiermittel das Verdunsten giftiger Kohlenwasserstoffe aus dem Rohöl erleichtern, was wiederum eine Konzentration von polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) im aufgelösten Öl zur Folge hat. Die Wirkung dieser Stoffe auf Fische werden in dem auch von Dr. Kinner erwähnten Bericht der National Academy of Sciences beschrieben. PAKs akkumulieren in Muscheln und eine Studie nach der Exxon Valdez Katastrophe zeigte, dass sich die Herzen von Pazifischem Hering und Embryos des Pink-Salmon Lachses schlechter entwickeln. Mitglieder der Alaska Community Action on Toxics stellten nach einer Studienauswertung [Ott/Miller, 2/3 unten] einen Zusammenhang zwischen der Anwendung von Dispergiermitteln während der Exxon Valdez Katastrophe und zahlreichen Erkrankungen bei Aufräum-Helfern her. Erkrankungen der Atmung und des Nervensystems, Leber-, Nieren- und Blutkrankheiten. Am 17.05.2010 schrieb Congressman Rep. Edward J. Markey, (Democrat aus Massachusetts) einen Brief (PDF) an die EPA und erkundigt sich u.a. danach, wie der Einsatz dieser Chemikalien zu begründen sei, wenn man so wenig über die Folgen wisse.

8 Kommentare zu “Zweifelhafte Chemikalien im Golf von Mexiko im Einsatz”

  1. Franzi 19. Mai 2010 um 21:21

    Also ich kann mir beileibe nicht vorstellen, dass der Chemieeinsatz gegen dieses Öl irgendwie gut sein kann …

    Hier ist auch was darüber zu lesen:
    http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/0,1518,695197,00.html

  2. Energiefox 20. Mai 2010 um 10:39

    Ich bin froh kein Auto mehr zu haben. Wir sollten über unsere Mobilitiät nachdenken. Es ist Effizienz angesagt und nicht PS. Jeder kann da seinen Beitrag leisten, indem er wenn es möglich ist lieber den ÖPNV den Vorzug gibt. Ich denke das Ende des Wachstums ist vorprogrammiert. Nur sind wir überhaupt darauf vorbereitet. Deutschland hat eine sehr gute Chance, weil wir sehr gut im Maschinenbau sind und kann eine Vorreiterrolle bei Energieeffizienz spielen. Nur noch langlebige, leicht reparierbare und umweltschonende Produkte bitte produzieren.

    Das Foto im Blog zeigt mir den Wahnsinn der dabei herauskommt, wenn Profit das Maß ist nach dem hauptsächlich gehandelt wird.
    Gruß Fox

  3. Mirijam 20. Mai 2010 um 13:47

    Ein Artikel von Greenpeace

    „Die Fernsehbilder von den tausenden ölverschmierten Vögeln, von hunderten Menschen, die verzweifelt am Strand das Öl in Tonnen schaufeln – es gibt sie nicht. Kein gigantischer, klebriger Ölteppich, der sich wie bei den Tankerhavarien von “Prestige” oder “Exxon Valdez” an die Strände wälzt.

    Unvorstellbare 15 Millionen Liter Öl sind in den letzten 27 Tagen aus den Lecks am Meeresboden geströmt. Da in dieser Tiefe die Wassertemperatur nur bei 1 Grad Celsius liegt, vermischt sich das Öl sofort mit dem Wasser. Auch das vom Ölmulti BP in Massen verwendete chemische Dispergiermittel Corexit macht genau das: Das Öl wird zu kleinen Tröpfchen und mit Wasser gemischt. Das Öl ist giftig, das Dispergiermittel ist giftig – die Kombination von beidem ist besonders giftig. Tödlich für jegliches Leben im Meer: Bodenlebewesen, Plankton, Algen, Krebse, Muscheln, Fische, Wale, Delfine, Schildkröten …

    Die wirklichen Schäden bleiben verborgen in der Tiefsee – und werden es wahrscheinlich größtenteils auch immer bleiben. BP ist das sehr recht. Und der Ölmulti tut alles, damit es so bleibt. Journalisten haben Schwierigkeiten, Schiffseigner anzuheuern, die sie zu den Ölteppichen hinausfahren, weil BP alle Kapazitäten aufgekauft hat. Auch ein Überflugverbot unter 900 Metern macht es den Kamerateams unmöglich, Nahaufnahmen von den Aufräumarbeiten einzufangen.

    Auch Greenpeace stand vor den gleichen Problemen, bis gestern: Eines unserer größten Schlauchboote–die “Billy Greene”, die sich sonst in der Antarktis Walfängern in den Weg stellt– ist in Louisiana angekommen. Der Meeresbiologe und Ölhavarie-Spezialist Rick Steiner nahm zusammen mit einem Team von Greenpeace-Aktivisten Öl- und Wasserproben. Rick Steiner ist Öl-Spezialist, der durch seine Arbeit während der Exxon Valdez-Ölpest internationale Bekanntheit erlangt hat.

    Rick Steiners Einschätzung ist pessimistisch: „Das Öl wird überall dort auftauchen, wohin es die Strömung treibt. Verhindern lässt sich das nicht wirklich.“

    Die Warnungen der besten Öl- und Meeresexperten sollten reichen, um sämtliche Pläne für Tiefseebohrungen sofort zu stoppen – ob im Golf von Mexiko oder in der Arktis. Shell hofft noch diesen Sommer vor der Küste von Alaska nach Öl bohren zu können. Die Genehmigung hat Shell dafür eigentlich schon in der Tasche: Es ist die gleiche, die auch BP im Januar für die ‚Deepwater Horizon’ ausgestellt bekam.“

    http://www.greenpeace.at/wordpress/?p=1456

  4. Franzi 20. Mai 2010 um 20:34

    Ob die Atombombe das Problem löst, wie die Russen meinen?
    http://www.welt.de/wissenschaft/article7566481/Russen-empfehlen-Atombombe-gegen-die-Oelflut.html

    Ich denke, das kann wohl nicht deren Ernst sein ????

  5. Raze 21. Mai 2010 um 19:42

    Diese Umweltkatastrophe mit Chemikalien zu bekämpfen, die vermutlich weitere ungeahnte Umweltprobleme mit sich bringen, ist ein gewagtes Unterfangen. Zumal der Einsatzbereich extrem großflächig ist und sich nicht eindämmen lässt, wie bereits bei anderen Ölunfällen in der Vergangenheit.

  6. Alex 21. Mai 2010 um 20:03

    Die USA steht vor einem Riesen-Umweltdrama. Die Folgen werden viel vernichten an Lebewesen und Umwelt.

    Die Haltung von BP ist eiskalt ausgerichtet auf das Einsparen von Schadensersatzzahlungen. Man heuert selbst Helfer an und lässt keine anderen Helfer zu, man schwindelt sich Zahlen zurecht und Wissenschaftler kommen nicht zum Zug.

    Der Umwelt und den Menschen in den Küstenregionen steht ein HEISSER Sommer bevor.

  7. Maria 21. Mai 2010 um 22:42

    In einem Fernsehbeitrag habe ich gesehen, dass BP Fischer anheuert, die helfen möchten, die Umweltschäden zu beseitigen. Die Vertragszeit beträgt nur ein paar Monate und die Verträge sehen vor, dass die Fischer gleichzeitig unterschreiben sollen, dass sie im Anschluss keinerlei Forderungen an BP stellen. Daran kann man sehen, wie BP gesteuert ist.

  8. Kira 24. Mai 2010 um 06:45

    Die Geld- und Machtgier einer kleinen Minderheit zerstört so unsere Umwelt – einfach nur erschreckend!!!

Kommentar abgeben: