Monatsarchiv für November 2009

Die letzten Monate im Leben der chemikaliensensiblen Angelika S.

Trauer um einen lieben Menschen

 

Vor 6 Monaten ging es Angelika S. noch relativ gut. Sie lebte mit ihrer Familie in einer Stadt in einem Vorort. Sie liebte Tiere sehr und hatte eine kleine Tierpension. Auch kümmerte sie sich viel um andere Menschen. 

Ich lernte sie kennen durch meine Cousine, die sie öfters besuchte und mir dann vor etwa 4 Monaten erzählte, dass Angelika nun auch so merkwürdige Symptome hätte wie ich. Sie vertrug auf einmal den Weichspüler nicht mehr…die Duschgels ihrer Familie und das Deo und vieles mehr. Meine Cousine erzählte ihr von mir, und so kamen wir erst einmal per Brief in Kontakt. Sie wollte gerne Info-Material über MCS und ich schickte es ihr. Fast gleichzeitig hörte ich, dass sie die Möbel und die Fußböden in ihrem Haus nicht mehr tolerierte und nun in der Küche auf dem Fußboden auf einer Decke schlief. Alles ging rasend schnell. Fast jeden Tag rief meine Cousine an und meldete mir neue Unverträglichkeiten. 

Da es nun auch im August sehr heiß war, konnte sie nur noch im Hof schlafen auf einer Matte von verträglichem Material. Dann ging auch das nicht mehr… 

Beim Anruf bei einem Umweltarzt musste sie mehrere Wochen auf einen Termin warten (Urlaub etc.). Dann hatte ich auch telefonischen Kontakt mit ihr, jeweils nur 5-7 Minuten, weil sie nun auch gleichzeitig elektrosensibel wurde. 

Ich riet ihr dann, soviel wie möglich in ein naheliegendes Naturgebiet zu fahren, was sie dann jeden Morgen um 7-8 Uhr mit ihrem Ehemann machte. Dort ging es ihr etwas besser. Aber es raste weiter…Atemnot…Herzrasen…Schwäche in Armen und Beinen…Lungenprobleme… alles wurde immer mehr…  

Da sie nicht mehr telefonieren konnte, sprach ich nun öfters mit dem Ehemann. Er brachte sie dann im September auf einen verlassenen Zeltplatz seines Vereins und sie schliefen im Auto…in kleinen Autos…sie in ihrem und er in seinem, weil er von der Arbeit ja auch belastet war. Tagsüber musste er 25 km auf die Arbeit fahren und sie dort alleine lassen, abends kochte er ihr Essen und brachte es ihr…wieder 25 km… Die Nächte im Auto…schlimm für die Gelenke… 

Dann rief er wieder bei dem Umweltarzt an und es wurde ihm gesagt, ihr ein „cleanes“ Zimmer im Haus zu machen und sie nicht mehr rauszulassen…

Daraufhin riss er den Fußboden heraus und flieste ein Zimmer und strich die Wände mit Rügener Kreidefarbe. Angelika war immer noch auf dem Zeltplatz, tagsüber alleine und es wurde kalt… 2 Luftfilter von PN wurden besorgt, dazu Sauerstoff-Flaschen für die Heimfahrt und dann der Versuch sie wieder in das Zimmer zu bringen. 

Während der ganzen Zeit musste sich der Ehemann immer wieder freinehmen von der Arbeit, was auch immer schwieriger wurde. Die Sorge nun auch noch die Arbeit zu verlieren nahm zu… 

Meine Cousine konnte nun auch nicht mehr zu Besuch kommen, als sie wieder zurück war, ebenso keiner mehr aus der Familie. Als der Sohn kam, musste sie flüchten…keinen Kontakt mit dem geliebten Enkel. 

Ich selbst habe MCS nun schon über 10 Jahre und konnte da langsam hineinwachsen und weiß was Isolation bedeutet. Die Seele leidet…die Tränen kommen…manchmal Depressionen…..und wenn man kaum Hoffnung hat und gar nicht weiß, was eigentlich richtig mit einem geschieht…ist es alles noch viel schlimmer. 

Aber Angelika lernte schnell und versuchte nun alles zu meiden, ernährte sich biologisch, hatte alles umgestellt…aber es dauert ja auch, bis die Gerüche aus einem normalen Haushalt verschwunden sind… 

Ich unterstützte sie, wo ich konnte mit Beruhigung und Informationen… Dann kam der Termin bei dem Professor… Er sagte, sie habe das ganze Programm von MCS auf einmal und riet ihr an Therapie lediglich B12 Spritzen für 6 Wochen täglich und B1 und B6. Sie begann diese Therapie, aber alles wurde noch schlimmer…

Angelika hatte in 6 Monaten die „Endphase“ von MCS erreicht. 

Als es noch nicht ganz so schlimm war, hatte ich ihr im September angeboten, hierher zu mir zu kommen und es hier zu versuchen…. aber sie wollte es erst in diesem gefliesten Raum zuhause probieren. 

Letzten Samstag rief mich der Ehemann an und sagte mir, dass sie jetzt fast jede Nacht von 2-4 Uhr wegfahren müssten, entweder dort in den Wald oder zum Friedhof, damit sie überhaupt noch Luft bekommt… Durch die Heizperiode war die Luft für Angelika in dieser Stadt unerträglich geworden. Jede Nacht Herzrasen, Atemnot und vieles andere… Ich sagte, versucht zu kommen und sie kamen am letzten Sonntag, den 25.10.hier morgens um 9 Uhr an. 

Die letzten 5 Tage im Leben von Angelika S.:

Sie kam mit Maske und nach viel Sauerstoff auf der Fahrt hier völlig fertig an. Wir setzten sie auf die Terrasse. 

Ihre Kleidung war von der Umgebung für mich kontaminiert. Ich musste Abstand nehmen und dann wollte sie sich umziehen…etwas von mir…was sie aber auch nicht vertrug…durch mein Klar-Waschpulver, das ich noch gut toleriere… 

AngelikaDamit sie bei mir hinein konnte, duschten wir sie dann am Abend und fanden noch eine Jogginghose meines Mannes und einen Pullover aus Baumwolle, die lange nicht gewaschen waren und Socken…. 

Doch worauf sollte sie schlafen? Sie vertrug kein Holz mehr, auch kein Naturholzmöbel, auch wenn es alt war oder den noch älteren Schrank, in dem für sie zurechtgemachten Zimmer. 

Sie wollte auf dem Boden liegen auf einem Bettbezug, der auch lange nicht gewaschen war und eine Decke, die lange Zeit auf dem Dachboden hing…

Fenster offen die ganze Nacht und den ganzen Tag zum Wald hin… 

Wir leben hier in einem 22 km Waldgebiet im Vogelsberg und so tat ihr die Luft zwar gut, aber ab Montag wurde es feucht und neblig und Tiefdruck… 

Ihre Hoffnung, dass es hier besser werden würde, schwand, aber sie wollte es versuchen, wollte nicht zurück…. 

Angelika

Entweder lag sie und saß auf der Terrasse…ich kochte für sie, gab ihr viel Wasser zu trinken…versuchte alles, sie seelisch und geistig aufzubauen…erzählte von CSN und anderen, die sich auch wieder stabilisiert hatten durch Meiden der Stoffe und Isolation. Jeden Tag gingen wir hinaus, um Luft zu haben. Da konnte sie auch noch einen Spaziergang von einer Stunde machen, am Dienstag zwar langsam, aber es ging. bis ein Auto kam und damit die Abgase, die sie trotz Maske befielen… 

Dann sagte sie, sie könne nicht so leben wie ich, ohne Menschen und so lange in Isolation, und dann wurde es immer schlimmer…sie hatte keinerlei Hoffnung mehr hier bleiben zu können, weil sie die feuchte Luft, besonders Nachts, nicht mehr tolerierte…sie wollte nichts mehr essen und trinken…war verzweifelt und ihre Schleimhäute waren so wie zuhause auch, rot und geschwollen. 

Sie musste hier wieder weg, aber wohin?????? 

Wir überlegten viele Möglichkeiten, Schweiz, Nordsee…wieder auf den Zeltplatz, weil dort war nicht so viel dichter Wald wie hier ist…eine Alu-Blechhütte dort aufstellen…wie aber heizen…und so fort… 

Am Mittwoch um 15 Uhr kam der Sohn meiner Cousine mit einem größeren Wagen, gecleanter als ihrer und ihr Ehemann und wir verabschiedeten uns… 

Sie wussten nicht, wohin…sie wussten nicht…was tun, …also fuhren sie erstmal wieder in das geflieste Zimmer und in das Naturgebiet dort in der Nähe. 

Sie überstand noch die Fahrt mit 5 Grad Raumtemperatur im Auto und dann hörte ich nichts mehr von ihr…. 

Donnerstagmittag, als ihr Ehemann zu seiner Arbeit musste und noch etwas einkaufen…machte sie ihrem Leben ein Ende! Ich erfuhr es erst am Freitagabend, weil es der Ehemann so wünschte. 

Wir sind in tiefer Trauer um einen lieben Menschen…einen Menschen…der noch hätte weiterleben können, gäbe es in diesem Land Unterkünfte für solche Fälle. Gäbe es eine, nur eine Klinik, wo man hingehen kann mit „CleanRooms“ wie im Environmental Health-Center in Dallas / USA. Gäbe es Ärzte, die MCS rechtzeitig erkennen…, gäbe es Unterstützung für die Angehörigen, die nicht wissen, warum das alles so passiert… 

Würde die Ignoranz und Intoleranz gegenüber einer Umwelterkrankung endlich aufhören. Krankheiten, die von Professoren, wie Prof. Dr .Pall und anderen als das erkannt wurden, was sie wirklich sind. 

  • 2 Selbstmorde, die ich miterlebt habe seit Juli…
  • 2 wertvolle Menschen, die in ihrer grenzenlosen Verzweiflung nicht mehr weiter wussten…
  • 2 Menschen, die sich als L A S T empfanden für ihre Familie…
  • 2 Menschen, die jahrelang treu ihrer Arbeit nachgingen… 

Wir trauern um Angelika S., und wir sind bestürzt über mangelnde Hilfen für MCS-Schwerkranke. 

Möge der Gott des Trostes auch die Angehörigen in ihrem Leid trösten und mögen sie Hoffnung finden, dass es nicht für immer ist….

dass es nicht für immer so bleibt…

dass all das Leid eines Tages aufhört…

dass es eine Wiederherstellung aller Dinge geben wird…

Autoren: Wolfgang und Mona B. für CSN – Chemical Sensitivity Network, 31. Oktober 2009

Weiterer Artikel zum Fall Angelika S.: Angelika musste sterben