Werden Chemikaliensensible genauso behandelt wie andere Behinderte auch, oder ignoriert man ihre Behinderung?

Wer nicht ins System passt wird gefressen

Chemikalien-Sensitivität ist in Deutschland als körperliche Behinderung (Ziffer 26.18, Register Einschränkung des Bewegungsapparates) seit 2005 anerkannt. Der Behindertenstatus wird auf Antrag im Einzelfall zugebilligt. Behinderte sind vom Gesetz her generell gegenüber Nichtbehinderten gleichgestellt. Es darf keine Behinderung einer anderen Behinderung gegenüber benachteiligt oder speziell übervorteilt werden. Behinderte dürfen nicht diskriminiert werden.

MCS – Blogfrage der Woche:

  • Wie geht es Euch mit Chemikalien-Sensitivität, geht man auf Eure Behinderung ein? Werdet Ihr gemäß Eurer Behinderung behandelt, bekommt Ihr Hilfe zugebilligt in Eurem Umfeld, von Behörden, etc.?
  • Billigt man Euch die gleichen Rechte wie anderen Behinderten im Alltag, in der Gesellschaft und im Beruf zu?
  • Existiert Barrierefreiheit für Euch, oder seid Ihr durch Eure MCS unüberwindbaren Barrieren ausgesetzt, die niemand für Euch aus dem Weg räumt?
  • Oder ignoriert man Eure Chemikalien-Sensitivität gänzlich und diskriminiert man Euch sogar deswegen?
  • Fühlt Ihr Euch als Chemikaliensensible von der Gesellschaft als Behinderte verstanden und akzeptiert?

9 Kommentare zu “Werden Chemikaliensensible genauso behandelt wie andere Behinderte auch, oder ignoriert man ihre Behinderung?”

  1. Eddy 19. Oktober 2008 um 15:19

    Das ist eine gute Blogfrage!

    Ich will mal sagen, dass wir MCS Behinderte die gleichen Rechte haben, wie andere, steht zwar auf dem Papier, die Praxis sieht da ganz anders aus. Wir treffen im alltäglichen Leben ständig auf oft unüberwindbare Barrieren. Unsere Rechte werden sozusagen mit Füßen getreten.

    Hätten wir die gleichen Rechte wie andere Behinderte, bei denen man weitestgehend versucht sie im Berufsleben zu halten, könnte ich, wie viele andere, vielleicht auch noch arbeiten, aber ich / wir bin / sind sozusagen entsorgt worden.

    Gruss Eddy

  2. Mary-Lou 19. Oktober 2008 um 19:15

    Wären unsere Rechte nur annähernd so gestärkt wie bei anderen Behinderten, würden wir nicht dermaßen ins Abseits gedrängt, wie es leider der Fall ist.

    Wir müssten uns allemann mit Nachdruck an den VdK wenden, der VdK vertritt schließlich Behinderte, also bitteschön auch uns.

    Auch WIR haben Rechte!!!!!!!!!!!

  3. Tine 19. Oktober 2008 um 20:43

    Tine:
    Ich habe mich letzte Woche mit dieser Frage an die Landesbehindertenbeauftragte gewandt. Ich bin wieder berufstätig, arbeite sehr gerne und werde aber durch verschiedene Duftproblematiken noch eingeschränkt. Nicht alle Kolleginnen sind in der Lage oder wollen nicht auf Duftstoffe verzichten.
    Rollstuhlfahrer haben ein Recht auf Barrierefreiheit, aber das ist leider auch nicht immer umgesetzt oder umsetzbar. Ich bin gespannt, was die Landesbehindertenbeauftragte zu unserem Thema sagt. Sie kannte Chemikaliensensibilität noch nicht.
    Liebe Grüße
    Tine

  4. Monja 19. Oktober 2008 um 22:23

    Wem gehört die Luft??? Die größte Barriere ist es mit MCS nicht atmen zu können wegen der Duftstoffe. Ich habe Schwerbehindertenanerkennung direkt auf MCS, das interessiert aber Niemanden, der sich parfümieren will. Würde man ähnliches einem Blinden antuen, einem Rollstuhlfahrer, einem Menschen an Krücken? Ihnen eine gravierende Verschlimmerung seiner Situation zumuten??? Sicher nicht. Wir sehen mit MCS oftmals blendend aus und darum vermutet keiner, welches Leid wir tagtäglich durchleben einzig wegen der Rücksichtslosigkeit und Unwissenheit anderer. Ist das „behindertengerecht“?

    Pöbeleien von Amtspersonen bezüglich Geldsperre, wenn man MCS in den Bewerbungen angibt, Drohungen der Rentenanstalt wegen verweigerter Psychoklinik, Diskriminierung von Gutachtern, die Einblick ins Infomaterial verweigern, Ignoranz von den meisten Schulmedizinern, Unwissenheit bei den Zahnärzten, die einen besseren Zustand herstellen könnten, Ablehnung von Krankenkassen für helfende Therapien, Rücksichtslosigkeit von Nachbarn, denen ihr Rasierwasser wichtiger ist, als ein Menschenleben… endlos wäre diese Liste fortzuführen. Nein ich fühlte mich noch niemals mit anderen Behinderten „gleichgesetzt“.

    „Barrierefreiheit“ ? wohin kann man denn noch gehen mit MCS? So wie für den Rollstuhlfahrer die Treppe, so steht überall vor uns eine Wand aus chemischen Gerüchen, die dutzende Symptome auslösen.

    „Akzeptiert und verstanden“ ? Im engsten Freundeskreis ja, dann ist aber auch schon Schluss. Man akzeptiert mich ansonsten, weil ich freundlich,
    offen, natürlich und lustig bin und nimmt dabei „die Macke mit dem Duft“ in Kauf, mehr aber auch nicht. Dennoch mag ich eigentlich nicht so negativ schreiben, ich bemühe mich täglich trotz aller Einschränkungen positiv zu sein, an eine Heilung zu glauben und für jeden da zu sein, der mich braucht. Ich versuche immer öfter, mich mit schönen Dingen zu beschäftigen, die mich aufbauen oder mich um die Sorgen der Gesunden zu kümmern, denn das lenkt für eine Weile von den eigenen ab.
    Herzlichst Monja

  5. Eike 19. Oktober 2008 um 21:58

    Zitat aus dem Blogtext:
    „Chemikalien-Sensitivität ist in Deutschland als körperliche Behinderung (Ziffer 26.18, Register Einschränkung des Bewegungsapparates) seit 2005 anerkannt“

    Anbei möchte ich Ihnen an einem FALLBEISPIEL zeigen, dass auch nach dem Jahr 2005 die „neue“ Analog- Ziffer bezüglich MCS, nämlich die Ziffer 26.18 sowohl weder von Gutachtern als auch vom Landessozialgericht Essen anerkannt worden ist.

    Neben mehreren Diagnosen war eines der von Ärzten, auch Umweltärzten (u.a. Objektivierung durch spezielle Laboruntersuchungen) diagnostizierten Krankheitsbilder „MCS“.
    Der Antrag auf Anerkennung einer Behinderung entwickelte sich zu einer Odyssee.
    Das Gutachten eines Umweltmediziners wurde einfach mit dem Satz „sozialmedizinisch nicht brauchbar“ vom Tisch gefegt.

    Von den vom Sozialgericht und Landessozialgericht bestellten Gutachtern wurden die Diagnosen anderer Ärzte einfach weg-diagnostiziert.
    Bescheinigt wurden von Anbeginn seelische Beeinträchtigungen und psychische Störungen.
    Ein Gutachter äußerte sich noch im Jahr 2006 in seinem Gutachten bezüglich „MCS“ folgendermaßen:

    „Für die Entstehung eines MCS-Syndroms gibt es toxikogen symptomatische Konzepte, aber auch „psychosomatische“ MCS-Theorien und integrative Modelle. Insbesondere sprachen aber die Ergebnisse der MCS-Studie des Umweltbundesamtes für eine „psychosomatische“ Ursache der Erkrankung, weshalb auch in dieser Hinsicht die von uns hier gestellte Diagnose berechtigt und in jedem Fall als Vergleichserkrankung für die gutachtliche Beurteilung geeignet ist.
    Im vorliegenden Fall ist aus medizinisch naturwissenschaftlicher Sicht und unter Gesichtspunkten der medizinischen Begutachtung das vorliegende Beschwerdebild einer „KOMPLEXEN PSYCHOSOMATISCHEN“ Störung im Sinne einer „somatoformen“ Störung gemäß ICD 10 zuzuordnen.“

    Der Anwalt schrieb an das Landessozialgericht u.a:

    „Auch in Bezug auf das Krankheitsbild „MCS“ verfügt der Gutachter ganz augenscheinlich nicht über die erforderliche Sachkenntnis.
    Dies wird schon dadurch dokumentiert, dass er sich bei seiner Beurteilung auf die Anhaltspunkte mit Stand 1996 (!) bediente. Auf dieser Grundlage ist die Anwendung der Ziffer 26.3 bei Vorliegen einer MCS sicher richtig,
    jedoch ist diese Einstufung von MCS ÜBERHOLT.

    Richtigerweise hätte der Sachverständige seine Beurteilung auf die nunmehr geltenden ANHALTSPUNKTE 2005 stützen müssen.
    Dadurch, dass er dies nicht getan hat, ist ihm offenbar entgangen, dass das Krankheitsbild der MCS eine NEUBEWERTUNG erfahren hat und mittlerweile unter der „Ziffer 26.18“ geführt wird, mithin unter dem Gliederungspunkt „Haltungs-und Bewegungsorgane, rheumatische Krankheiten“ .
    Die Bewertung der Beschwerden der Klägerin berücksichtigt daher NICHT den AKTUELLEN Stand der Wissenschaft.“

    Das Landessozialgericht äußerte sich in seinem Urteil im Jahr 2008 u.a.:

    „Zutreffend haben sowohl die Sachverständigen der Beurteilung die Ziffer „26.3 – Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen – zu Grunde gelegt…..

    Die GdB-Bewertung erfolgt weiterhin in Analogie zu den in Ziff. 26.3 der Anhaltspunkte aufgeführten Neurosen, Persönlichkeitsstörungen und Folgen psychischer Traumen. Dies gilt auch für das MCS. …

    Hiernach ist für leichtere „psychovegetative“ oder „psychische“ Störungen ein Bewertungsrahmen von 0 bis 20,
    für stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit ein solcher von 30 – 40
    und ein GdB von 50 bis 100 erst bei schweren Störungen wie z.B: einer schweren „Zwangskrankheit“ festzustellen.

    Solche schwere Störungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Vielmehr ist von „stärker behindernden“ Störungen im Sinne der Anhaltspunkte in allen maßgeblichen Fassungen auszugehen.
    Dies hat insbesondere der vom Senat gehörte Sachverständige ÜBERZEUGEND geschildert.“

  6. Princess 20. Oktober 2008 um 07:06

    Es ist schon eher so, wie auf dem gelungenen Foto, wir MCS Kranke, ob mit oder ohne Annerkennung der Schwerbehinderung, werden von unserem Umfeld praktisch überrannt. Rücksichtnahme, Hilfe geschweige denn Barrierefreiheit, all das muss erst geschaffen werden. Wir sind weit davon entfernt.

  7. Jennifer 21. Oktober 2008 um 12:51

    Also ich kämpfe derzeit noch damit, MCS überhaupt als Schwerbehinderung anerkannt zu bekommen. Man bekommt auf alle möglichen Krankheitsbilder (z.B. somatoforme Störungen) eine Behinderung von 20 oder 30 % anerkannt, aber selbst wenn man das irgendwann mal schafft, entsprechend der täglichen Einschränkungen und des gesamten Lebens eingestuft zu werden, bleibt noch das Problem im Alltag.

    Auch dann ändert das nichts an der Tatsache, dass man überall den Duftstoffen, den Chemikalien, dem ganzen E-Smog etc. ausgesetzt wird und das den Menschen auch noch als „Highlight“ verkauft wird.

    Dass es dadurch immer mehr Betroffene geben wird und niemand etwas dagegen unternimmt, um hier Abhilfe oder zumindest Erleichterung zu schaffen, ist sehr betrüblich. Ich bin wirklich froh, dass ich keine Kinder habe, die dann womöglich noch mehr mit all dem belastet sind.

    Es ist wirklich sehr depremierend, dass man als Betroffener keine Gehör findet und zusätzlich noch in die Psychoschublade gesteckt wird.

    Das sieht man doch mal wieder, dass es nicht darauf ankommt, die Menschen möglichst gesund zu halten, sondern dass immer die kommerziellen Interessen im Vordergrund stehen. Ich frage mich immer, ob die Menschen, die gegenüber MCS-Kranken so ignorant sind, auch mal an ihre Kinder denken oder ob sie überhaupt kein Gewissen mehr haben.

  8. Mona 24. Oktober 2008 um 19:35

    Auf keinen Fall werden wir mit MCS so behandelt wie andere Behinderte.Ein Beispiel:
    Ich hatte den dringenden Wunsch über die Pestizidzeit der Felder hier in der Nähe bei der Lebensgemeinschaft der Anthroposophen unter zu kommen,bzw.einen Bauwagen auf ihr Gelände stellen zu dürfen.Sie haben viele Behinderte dort und der zuständige Herr sagte mir dann aber ,dass sie sich das nicht vorstellen können und sie keine MCS-Kranken dort verweilen lassen.Sie würden nur richtige Behinderte aufnehmen und seelenpflege Bedürftige.Also bin ich wieder weiter gezogen auf der Suche nach einem Platz.
    Wir gelten auf keinen Fall als Behinderte und das obwohl wir ja überall behindert und eingeschränkt werden.
    Keiner will uns haben,so sieht es doch aus;wir sind eben zu anstrengend. Liebe Grüße von Mona

  9. Groppo 27. Oktober 2008 um 15:10

    Ich kann nur sagen, es gibt gewaltige Unterschiede zwischen „normalen“ Behinderten und uns MCS – Behinderten. Wir werden verächtlich behandelt, belächelt und können nicht mal gescheit zum Arzt, geschweige uns in ein Krankenhaus begeben.

    Krasser könnten die Unterschiede nicht sein. Wir müssen uns andauernd erklären und rechtfertigen, zu guter letzt werden wir als Hypochonder / Ökochonder abgetan, obwohl Multiple Chemikalien Sensitivität ganz klar im deutschen Schwerbehindertenrecht als Behinderung deklariert ist.

    Wir sind zu unbequem, und zwar nicht nur für die Industrie, sondern auch für unsere Mitmenschen, weil sich heute niemand mehr einschränken möchte.

    Groppo

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