Chemikaliensensibilität ist häufig und kostet Arbeitsplätze | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Silvia K. Müller, R.W. / CSN Anfang der 80-iger Jahre wurden erste Berichte über chemikaliensensible Menschen durch die Medien in Deutschland bekannt. Es schien, als sei diese Erkrankung sehr selten und so wirkte sie auf die Allgemeinbevölkerung auch geradezu exotisch. Es wurde über Menschen berichtet, die am normalen Leben nicht mehr teilhaben können, weil bei ihnen kleinste Mengen von Alltagschemikalien wie Duftstoffe, frische Farbe, Zigarettenrauch oder Autoabgase, Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel, Grippegefühl, Übelkeit, Sehverlust und in schweren Fällen sogar Bewusstlosigkeit auslösen. Manche der Schwerbetroffenen müssen unter quarantäneartigen Bedingungen mit Luftfiltern abgeschottet von anderen Menschen leben. Wissenschaftliche Erhebungen aus den USA legen offen, dass zwischenzeitlich viele Menschen unter Chemikaliensensibilität leiden. Wodurch und, dass diese Hypersensibilität gegenüber Alltagschemikalien bei einer nicht unerheblichen Anzahl Betroffener zum Verlust des Arbeitsplatzes führt, stellte das Wissenschaftlerteam Stanley M. Caress und Anne C. Steinemann am Georgia Institute of Technology in Atlanta, Georgia fest. Der nachfolgende Bericht gibt einen Überblick über den epidemiologischen Stand in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten. Umgerechnet auf die gesamte US Bevölkerung, rund 290 Millionen Menschen, bedeutet die Studie aus Georgia, dass rund 36,5 Millionen Amerikaner an MCS leiden und bei rund 5,2 Millionen betroffenen Menschen Chemikaliensensibilität zum Verlust des Arbeitsplatzes führen kann. Die Ergebnisse aus den USA sind auf andere Industrieländer reproduzierbar. In den vergangen Jahren häuften sich Berichte über chemikaliensensible Menschen. Wenn das Thema auf Menschen mit Hypersensibilität auf Alltagschemikalien kommt, kennt heute fast jeder eine Person aus seinem Umfeld, die darunter leidet oder man hat zumindest schon einmal von der Erkrankung gehört. Wie verbreitet Chemikaliensensibilität in der Allgemein- bevölkerung tatsächlich ist, wurde durch zahlreiche epidemiologische Studien belegt und zeigt, dass die einst exotische Erkrankung heute in allen Bevölkerungsschichten weit verbreitet ist. Internationale Studien zur Epidemiologie von Chemikaliensensibilität
Studie des Georgia Institute of Technology Studiendesign und Epidemiologie - Erste Phase Das Wissenschaftlerteam der State University of West Georgia stellte sich für seine hervorragend strukturierte zweigeteilte Studie verschiedene Aufgaben. Die erste Phase bestand aus dem Abfragen einer Gruppe von 1582 zufällig ausgewählten Personen aus dem Ballungsgebiet von Atlanta, Georgia, um festzustellen, ob bei ihnen eine Hypersensibilität auf Chemikalien vorliegt. In dieser Phase berichteten 12,6% der Befragten über eine Hypersensibilität auf Alltagschemikalien. 3,1% der Teilnehmer berichteten, dass sie eine medizinische Diagnose einer Umwelterkrankung oder MCS von einem Arzt hatten. Ursache und Auswirkung - Zweite Phase Die zweite Phase der Studie bestand in einer ausführlichen weiterführenden Befragung der Personen, die eingangs über eine Hypersensibilität berichtet hatten. Die Wissenschaftler überprüften die potentielle Verbindung zwischen Beginn der Reaktionen und spezifischen chemischen Stoffen, Verbindungen zu anderen Krankheiten, potentielle Triggerstoffe, sowie Veränderungen des Lebensstils von hypersensiblen Personen. In dieser Phase fanden die Wissenschaftler heraus, dass Betroffene mit einer chemischen Hypersensibilität eine breit gefächerte Bandbreite von Symptomen und Triggern erleben. Von den Personen, die berichteten , dass sie ungewöhnlich sensibel auf Alltagschemikalien sind, konnten 42,7% die ursprüngliche Ursache (Auslöser) der Hypersensibilität angeben. Ein signifikanter Prozentsatz von 27,5% berichtete, dass die Hypersensibilität nach einer Pestizidexposition eintrat. Mit dem gleichen Prozentsatz von 27,5% wurden Lösemittel als Verursacher angegeben. Veränderung im Leben der Chemikaliensensiblen und Verlust des Arbeitsplatzes Von den Studienteilnehmern, die über eine Hypersensibilität gegenüber Chemikalien berichteten, wurden nur 45,1% medizinisch behandelt. Die Mehrheit der Befragten gab an, zuhause einige Vorsichtsmaßnahmen aufgrund ihrer Hypersensibilität vorzunehmen. Etwas weniger als ein Drittel (29,9%) gaben an, dass ihre Hypersensibilität es schwierig macht, in normaler Art und Weise in Geschäften einzukaufen. Außerdem verloren 13,5% der Teilnehmer ihren Arbeitsplatz, weil ihre Hypersensibilität gegenüber Alltagschemikalien sie von einer adäquaten Funktionsweise an ihrem Arbeitsplatz abhielt. Umgerechnet auf die gesamte US Bevölkerung, rund 290 Millionen Menschen, bedeutet die Studie, dass rund 36,5 Millionen Amerikaner an MCS leiden, und mehr als 5,2 Millionen deshalb ihren Job verlieren können. Beginn der Chemikaliensensibilität Das Ergebnis der zweiten Phase der Studie legte dar, dass jüngere Teilnehmer eher an Chemikaliensensibilität erkranken als Ältere. Der Beginn der Chemikaliensensibilität lag bei den meisten Teilnehmern in der produktivsten Zeit des Lebens, zwischen dem 20. und 36. Lebensjahr.
Ursprünglicher Auslöser der Chemikaliensensibilität Bei der Angabe des initialen Auslösers ihrer Chemikaliensensibilität konnte die Mehrzahl der Teilnehmer exakte Angaben machen. Pestizide und Lösemittel zählten zu den Hauptauslösern der Hypersensibilität.
Auslöser für Reaktionen Bei Fragen nach den Reaktionsauslösern bei Chemikaliensensiblen zeichnete sich ein klares Bild ab. Die Mehrzahl reagierte auf Substanzen, denen wir in unserem Alltagsleben ständig begegnen. Dies erklärt auch, dass manche Betroffenen ihre Arbeit nicht mehr ausführen können.
Reaktion bei den Teilnehmern auf Chemikalien Die Mehrzahl der Chemikaliensensiblen reagiert direkt nach Exposition gegenüber einem Auslöser. Bei sehr wenigen Betroffenen trat die Reaktion über einen längeren Zeitraum verzögert ein.
Dauer der Reaktion Die Dauer der Reaktionen auf Chemikalien der verschiedenen Teilnehmer variierte stark.
Symptomatik der Reaktion Es wurde offensichtlich, dass die Betroffenen unterschiedlich reagieren und verschiedene Maßnahmen als Hilfe gegen die Reaktionen ergreifen müssen. Fast alle Teilnehmer reagierten jedoch mit neurologischen Beschwerden auf minimalen Kontakt mit Alltagschemikalien.
Art der Reaktion Beim Großteil der Studienteilnehmer lief die Reaktion auf Chemikalien auf die sie reagieren, immer gleich ab.
Zusammenhang mit anderen Krankheiten Die Wissenschaftler untersuchten auch den Zusammenhang von Chemikaliensensibilität zu anderen Krankheiten und kamen zu dem Ergebnis, dass die Mehrzahl der Teilnehmer (53,6%) unter anderen Krankheiten, die mit der MCS in Zusammenhang standen, litt.
Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen oder psychogene Ursache Da in wissenschaftlich nicht begründeten Berichten immer wieder darauf verwiesen wird, Chemikaliensensibilität sei eine psychogene Erkrankung, hielten es die Wissenschaftler der University of Georgia für besonders wichtig, diesen Aspekt gründlich abzuklären. Das Ergebnis zeigte, dass nur 1,4% der Studienteilnehmer über Depressionen, Angstzustände oder andere emotionale Probleme berichteten, bevor ihre Symptome auf Alltagschemikalien anfingen. 37,7% der Befragten gaben jedoch an, dass sich psychische Beschwerden nach Krankheitsbeginn manifestierten. Der Unterschied zwischen psychischen Symptomen vor und nach Beginn der Erkrankung, schwächt die Behauptung MCS sei psychogen oder Hypersensibilität auf Alltagschemikalien ein Produkt emotionaler Störungen, erheblich. Die Ergebnisse zeigen vielmehr, dass körperliche Beschwerden zuerst eintreten und emotionale Probleme sich erst in Folge einstellen. Es ist plausibel, dass die Hypersensibilität auf Alltagschemikalien so zerstörend wirken kann, dass sie beträchtlichen mentalen Stress, aufgrund des Versuchs des Betroffenen mit den limitierenden Umständen umzugehen, verursacht. Eine weitere Erklärung der Wissenschaftler ist, dass toxische Substanzen das Gehirn in den Funktionen, die mit Gemüt und Emotion zusammenhängen, beeinträchtigen könnten. Die Erforschung dieses Bereichs fordern verschiedene Wissenschaftler schon seit längerem. Umstellung im täglichen Leben durch Chemikaliensensibilität Da Chemikaliensensible auslösende Substanzen meiden müssen, um symptomfrei zu bleiben, verlangt dies zahlreiche Umstellungen in ihrem Alltag und täglichen Leben von ihnen. Einige der Teilnehmer mussten den Wohnort wechseln, in ein anderes Haus ziehen oder ihr Haus ihren Bedürfnissen entsprechend umbauen.
Viele Betroffene litten unter gesundheitlicher Beeinträchtigung durch Handlungen Dritter, die sie in ihrem Alltag gesundheitlich schwer beeinträchtigten.
Zusammenfassendes Ergebnis der Studie der University of Georgia Die Studie kam zum Ergebnis, dass bis zu 15% der Amerikaner, ca. 5,2 Millionen, eine Hypersensibilität auf bestimmte Chemikalien im Niedrigdosisbereich haben. Dies bestätigt eine erste Aussage über die Häufigkeit von Chemikaliensensibilität durch die NAS - National Academy of Sciences 1981. Bei den meisten Chemikaliensensiblen liegt der Beginn ihrer Erkrankung zwischen dem 20. und 36. Lebensjahr. Vielen war der Auslöser ihrer Erkrankung bekannt. Die häufigsten Auslöser der Chemikaliensensibilität waren Pestizide und Lösemittel. Die Betroffenen reagierten zumeist direkt nach Exposition gegenüber einer Alltagschemikalie. Fast alle Betroffenen reagieren auf Reinigungsmittel, Pestizide und Parfüm mit neurologischen Symptomen wie Kopfschmerzen und Schwindel. Die Reaktion dauert bei fast allen mehrere Stunden bis Tage, bis sie abklingt. 52,2% der Chemikaliensensiblen beurteilten ihre Reaktionen als schwer bis sehr schwer. Die meisten der Betroffenen leiden zusätzlich unter Allergien auf natürliche Substanzen. Psychische Krankheiten lagen vor Beginn der Erkrankung bei nur extrem wenigen Betroffenen (1,4%) vor, traten aber durch die Schwere der Erkrankung und die Begleitumstände (z.B. durch Verlust des Hauses oder Arbeitsplatzes) im weiteren Verlauf bei über einem Drittel ein. Chemikaliensensibilität erfordert von schwer Betroffenen, große Umstellungen in ihren Lebensgewohnheiten und große kostenintensive Veränderungen im Wohnumfeld. Fast die Hälfte der Betroffenen benötigt Luft- und Wasserfilter, um beschwerdefrei leben zu können. Ca. 13,5% der Hypersensiblen verlieren aufgrund der MCS ihren Arbeitsplatz. Medizinische Behandlung erhält nicht einmal die Hälfte der Betroffenen. Referenzen Ashford NA, 1999. Low-level chemical sensitivity: implications for research and social policy. Toxicol Ind Health 15:421-427. Ashford NA, Miller CS, 1998. Chemical Exposures: Low Levels and High Stakes. 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