Einige Anästhetika bergen lebensgefährliche Risiken für chemikaliensensible Menschen -
Welche Alternativen gibt es?
 
 

Silvia K. Müller / CSN

Operative Eingriffe bergen ein hohes Risiko für chemikaliensensible und -geschädigte Menschen. Das Einholen einer zweiten medizinischen Meinung, ausser in einer Notfallsituation, ist daher immer angeraten. Manche gesundheitlichen Probleme können jedoch eine Operation unumgänglich machen. In Bezug auf Chemikaliensensibilität ist in Deutschland nicht mit Erfahrung hinsichtlich der besonderen Problematik der Patienten in den jeweiligen Krankenhäusern zu rechnen, da landläufig noch immer versucht wird, das Krankheitsbild "kontrovers zu diskutieren", oder die Existenz zu negieren. Daher müssen Menschen mit Chemikaliensensibilität eine Operation gemäss ihrer spezifischen Bedürfnisse im Vorfeld so gut als möglich vorbereiten. Eine enge Zusammenarbeit von Arzt, Anästhesist und Patient ist essentiell. In ganz besonderen Einzelfällen sollte u.U. erwogen werden, das in den USA seit Jahrzehnten erworbene Fachwissen, die dort vorhandene Kompetenz und die vielfach vorhandenen umweltkontrollierten Behandlungsräume zu nutzen und die Operation in Übersee durchführen zu lassen.

Es wurden in den USA einige Fälle von CFS bekannt, deren Krankheitsbeginn auf eine grössere Operation bei der ein Anästhetikum eingesetzt wurde, zurückzuführen ist (1). Reaktionen wie Bewusstlosigkeit, Krampfanfälle, Asthma, Hyperventilation, schwere Anaphylaxie, Entzündung an der Einstichstelle der Injektion, lokale Schwellungen, Wundentzündung, schwere Erschöpfung, Verschlimmerung der Reaktionen auf Nahrungsmittel und Chemikalien, schwere allergische Reaktionen, einschliesslich Tod wurden durch Verabreichung von Lokalanästhetika bei chemikaliensensiblen Patienten beobachtet (2). Bedacht werden sollte, dass diese Reaktionen bei entsprechender Sensibilität auch durch Zusatzstoffe, oder Phenol-, Epinephrin- und Alkoholbestandteile eintreten können (2).

Um das potentielle Risiko durch den Einsatz eines Anästhetikums zu minimieren, müssen im Vorfeld u.a. die verschiedenen Faktoren der Entgiftungskapazität und Sensibilitäten gegenüber spezifischen Anästhetika überprüft werden. Bei Menschen mit entsprechender Prädisposition, wie stark verminderter oder gestörter Entgiftungsleistung, Enzymdefekten, Störungen des Porphyrinstoffwechsels, Anaphylaxie oder Immundefekten muss nach adäquaten Alternativen gesucht werden. Zusätzlich sollten bei chemikaliensensiblen Patienten generell Laboruntersuchungen zur Erfassung des Immunsystems und des enzymalen Entgiftungssystems zur Risikominimierung vor grösseren Eingriffen erfolgen.

Bei hypersensiblen Patienten kann die physische Problematik sogar dazu führen, dass eine Operation unter speziellen chemikalienfreien Umweltbedingungen, mit Zuhilfenahme von Hypnose oder Akupunktur als Narkose die einzig durchführbare Möglichkeit ist. Nachteilig für den Einsatz von Hypnose ist es jedoch, dass es einer Vorbereitungsphase bedarf, in der der Patient in diese Technik eingeführt wird. Akupunktur wird in anderen Kulturen seit Jahrhunderten bei Operationen zur Schmerzkontrolle eingesetzt. Beide Möglichkeiten können auch in Kombination eingesetzt werden. Zur Minimierung der normalerweise einzusetzenden Dosis des Anästhetikums können diese nichtinvasiven Methoden ebenfalls hilfreich sein und zur generellen Verringerung des Operationsrisikos beitragen, bzw. auch dazu, dass die Gesamtkörperbelastung nicht unnötig erhöht wird. Akupunktur mit Schwachstrom gilt ebenfalls als ein anerkanntes Verfahren, es birgt jedoch das Risiko, dass die Nervenendpunkte bei geringer Erfahrung u.U. nicht richtig getroffen werden (1,2).

Gründlichste Anamneseerhebung vor der Operation eines sensibilisierten Patienten ist dringend erforderlich. So kann das seit den 50ziger Jahren eingesetzte synthetische Anästhetikum Suxamethonium (Bis-cholinester der Bernsteinsäure) (5) gefährlich für die Menschen sein, die zuvor gegenüber Insektiziden der Organophosphatklasse (z.B. Chlorpyrifos, Dichlorvos) exponiert waren. Der Hauptgrund besteht darin, dass Suxamethonium die Toxizität von Organophosphaten potenziert (1). Organophosphate sind Acetylcholinesterasehemmer und verursachen eine irreversible Depolarisierungsblockade an den neuromuskulären Verbindungen, autonomen Synapsen und im ZNS. Die nonpolare Konfiguration von Physostigmin, Suxamethonium und vielen Organophosphaten macht es ihnen möglich, die Bluthirnschranke zu penetrieren, wo sie eine ähnliche Blockade an selektierten Synapsen des ZNS verursachen können (1).

Die Depolarisierungsblockade, die normalerweise durch Suxamethonium produziert wird, wird durch Hydrolyse kurz gehalten, wenn jedoch der Plasmacholinesterasespiegel durch physiologische, iatrogene oder genetische Ursachen erniedrigt ist, kann dies lebensgefährlich für den Patienten enden. Depression der Cholinesterasesynthese durch wiederholte Organophosphatexposition, möglicherweise, jedoch nicht notwendigerweise, prädisponiertem Genotyp, kann eine Blockierung durch Suxamethonium hervorrufen, die ausreichend ist, um respirative Insuffizienz und Lungenkollaps zu verursachen (1). Als weiterer Risikofaktor kommt hinzu, dass einige Organophosphate, wie z.B. das in Deutschland noch häufig eingesetzte Chorpyrifos lipophil sind und für lange Zeit im Körper eingelagert sein können, so dass auch eine bereits länger zurückliegende Exposition ein Risiko darstellen kann.

Die Effekte von subklinischen Organophosphatdosen, mit oder ohne synergistische Einflüsse, auf das ZNS wurden bisher nicht erforscht, da sie nicht korrekt an Tiermodellen studiert werden können. Die einzige Hoffnung mehr darüber zu erfahren und das Wissen über die zugrundeliegenden molekularen Mechanismen zu erweitern, besteht darin, all diejenigen zu beobachten, bei denen davon auszugehen ist, dass ihr Gesundheitszustand durch Organophosphatintoxikation verursacht wurde (1).

Generell sollte bei Chemkaliensensiblen möglichst auf Verabreichung von Suxamethonium verzichtet werden. Als starker Agonist an Muskarinrezeptoren und ganglionären Nicotinrezeptoren können Arrythmien hervorgerufen werden, vorallem Sinusbradykardie (bei nicht-atropinisierten Patienten). Das Anästhetikum kann maligne Hyperthermie auslösen, manchmal in wenigen Minuten um mehrere Grade (5). Ein weiterer gegen dieses Anästhetikum sprechender Faktor besteht darin, dass viele Chemikaliensensible unter Störungen des Leberstoffwechsels leiden und die Butyrylcholinesterase aus dem Plasma aus der Leber stammt. Durch eine Funktionsstörung kann der Enzymgehalt in der Leber vermindert sein, was zu einer längeren Abbauzeit und somit längerer Lähmung führt. Unerwünschte Nebenwirkungen sind bei Suxamethonium ohnehin häufiger als bei nicht polarisierenden Relaxantien. Unter den letzteren hat Tubocuarin die meisten unerwünschten Nebenwirkungen. Es setzt bereits in klinischen Dosen direkt, nicht-immunologisch Histamin aus Mastzellen frei. Blutdruckabfall, ein Erythem von Gesicht, Hals und oberem Brustbereich sowie Bronchokonstriktion können die Folgen sein (5). Die intravenös verabreichten Anästhetika Thiopental und Propanidid sind aufgrund ihrer direkten Aktivierung von Komplement dafür bekannt, pseudoallergische Reaktionen hervorrufen zu können (5).

Eine Lokalnarkose ist wenn möglich immer einer Vollnarkose vorzuziehen, schon aus dem Grund, da fluoridierte Hydrocarbone und nitrose Oxide für ihre Immunsupressivität bekannt sind. Nitrose Oxide sind falls dennoch keine andere Alternative praktikabel ist, halogenierten Hydrocarbonen vorzuziehen (2). Wenn eine Vollnarkose unvermeidbar ist, wird hundertprozentiger Sauerstoff, verabreicht mit einer Keramikmaske und einem Tygon- oder Edelstahlschlauch, für fünf Minuten gefolgt von Pentathal oder Brevital, laut Erfahrung amerikanischer Umweltmediziner, von allergisch disponierten Personen ebenfalls meist gut toleriert (4). Xenon ein noch nicht sehr lange verwendetes Narkosegas, ist bisher als nebenwirkungsfrei bekannt und könnte eine schonende Alternative darstellen. Leider ist dieses Verfahren recht teuer und noch wenig verbreitet (3). Hyperventilation gilt als effektiv (2).

Lokalanästhetika wie konservierungsmittel- und epinephrinfreies Xylocain, Carbocain oder andere "Caine" werden von Chemikaliensensiblen häufig für lokale oder regionale Eingriffe toleriert (2). Ein intradermaler Test im Vorfeld ist anzuraten. Anectine oder das alte Pfeilgift Curare, welches man seit Mitte des 19 Jhr. einsetzt, gelten als gut verträglich (2). Sublimaze, Innovar oder Demerol werden ebenfalls meist gut vertragen (4). Für kleine Eingriffe an der Haut ist Benedryl oder Salzlösung in die krankhafte Veränderung gespritzt, eine sehr erfolgreiche Alternative. Für Hautveränderungen die isoliert werden können, können transcutane Nervstimulatoren um die Wunde herum verwendet werden, um den Schmerz zu verhindern (2). Im Dentalbereich wird mit Ultracain ohne Konservierungsmittel und Maeverin ohne Adrenalin meist gute Erfahrung gemacht.

Eine gute Methode um unvorhersehbare Komplikationen bei sensibilisierten Patienten zu vermeiden, besteht darin, vorab in Frage kommende Anästhetika interdermal durch die Provokations-Neutralisationstechnik nach Miller auszutesten. Nach Feststellung des genauen Sensibilitätsgrades kann festgelegt werden, welches Anästhetikums das geringste Risiko, bzw. die geringsten Reaktionen verursacht. Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass die Räumlichkeiten zur Austestung absolut clean sind, um sicherzustellen, dass die Endpunkte der Austestung korrekt sind. Der austestende Arzt sollte auf eine anaphylaktische Schockreaktion vorbereitet sein. Die Wartezeit zwischen den einzelnen Testschritten sollte 20 Minuten betragen. Hypersensible Patienten können nicht mehr als eine Substanz pro Tag austesten. Weiterhin muss bedacht werden, dass der Patient mind. 24 Std. vor der Austestung kein Antihistamin, Hydroxyzin, Valium und ähnliche Medikamente, trizyklische Antidepressiva oder Betablocker eingenommen haben darf. Die ermittelte Dosierung des entsprechenden Anästhetikums kann, falls erforderlich, vor der Anästhesie zur Neutralisierung der Symptomatik verabreicht werden (2).

Gute Vorbereitung einer Operation schliesst u.a. ein:
  1. Absprache der Medikamentenallergien
  2. Verstärkte Supplementierung von Nährstoffen vor der Operation
  3. Infusionen nur in Glasbehältern (Kunststoffmaterialien können zu schweren Reaktion führen und müssen vermieden werden)
  4. Abklärung welche Infusionslösung toleriert wird (Dextrose enthält Mais, Lipomul enthält häufig Soja oder Distel, Ringer Lösung enthält Mais, Kochsalzlösung wird meist am besten toleriert)
  5. Bedarfsfalls vorab selbst gespendete Blutreserven in Glas
  6. Nahtmaterial, auf welches der Patient am wenigsten reagiert, erfahrungsgemäss reagieren Chemikaliensensible auf folgende Materialien am wenigsten:
    1. Seide
    2. Baumwolle
    3. Lammdarm
    4. Synthetik (z.B. Prophylen)
    5. kollagene Fasern vom Rind
  7. Operationsnadeln aus einer für den Patienten tolerierbaren Stahllegierung
  8. Operationshandschuhe aus einem für den Patienten tolerierbaren Material, falls eine Latexallergie besteht (z.B. Vinyl, Nitril)
  9. Bereitstellung von Sauerstoff im Patientenzimmer zur Behandlung und Linderung von Reaktionen (Keramikmaske, Edelstahl- oder Tygonschlauch, Glasluftbefeuchter)
  10. Erlaubnis den eigenen Raumluftfilter für das Patientenzimmer mitbringen zu dürfen
  11. Entsprechende auf den sensibilisierten Patienten abgestimmte adäquate Umweltbedingungen im Krankenzimmer (6), sowie OP
  12. Ökologische Kost, gemäss dem Diätplan des Patienten
  13. Wasser aus Glasflaschen
  14. Abklärung dass das behandelnde oder operierende Personal keine Duftstoffe verwendet
  15. Abklärung, dass das Patientenzimmer nicht desinfiziert, oder mit duftenden Reinigungsmitteln geputzt wird
  16. Reduzierung der Gesamtkörperbelastung von Seiten des Patienten (z.B. Sauna, Aufenthalt unter schadstoffkontrollierten Umweltbedingungen vor und nach der OP, striktes Einhalten der Diät und absolute Karrenz gegenüber Nahrungsmitteln auf die eine Sensibilität besteht, Meidung von Genussmitteln)
Einhaltung dieser Punkte kann das Risiko einer Operation drastisch minimieren und sollte vor einer Operation in Kooperation mit dem Patienten, dessen Haus- oder Umweltarzt, den behandelnden, operierenden Ärzten, sowie dem Anästhesisten getroffen werden. Die generelle Versorgung des Patienten während der pre-, intra- und postoperativen Phase muss exakt auf die jeweiligen Sensibilitäten und sonstigen medizinischen Bedürfnisse abgestimmt werden, da die Probleme, die aus verschiedenen Expositionen und Umständen entstehen können, von Fall zu Fall variieren.

Faktoren wie Geruchssensibilität, Nahrungssensibilitäten, Wetterempfindlichkeit, Verschlechterung des Gesundheitszustandes nach jeder Anästhesie, Kälteempfindlichkeit, Medikamentenunverträglichkeit, Reaktionen auf Kunststoffe (z.B. Infusionsschläuche, Katheter, etc.) wiederholte "Grippeartige Zustände", Angst des Patienten vor einem Krankenhausaufenthalt, da er sich dort jedesmal gesundheitlich verschlechtert, wiederholter Einsatz von Steroiden und Antihistaminika (verschlechtern meist), Antibiotikaunverträglichkeit, Anaphylaxie, Verschlechterung nach jeder Schwangerschaft, sollten von den operierenden und behandelnden Ärzten verstanden werden, um unvorhergesehenen Komplikationen vorzubeugen, sowie den Erfolg der Operation zu maximieren (2).


Referenzen:
  1. Helen Fullerton, "Some Anaesthetics may pose risk to sensitive people", Green Network, Brief an Fachzeitschriften für Mediziner und Anästhesisten um über die potentiellen Gefahren des Anästhetikums Suxamethonium auf sensibilisierte Patienten hinzuweisen.
  2. William J. Rea, "Surgery in the Chemically Sensitive", Chemical Sensitivity, Volume IV, Lewis Publishers, 1997
  3. www.csn-deutschland.de, Rubrik Xenon, Update Mai 2001 - alte Homepage
  4. Jacqueline Krohn, Frances Taylor, Erla Mae Larson, Allergy Relief and Prevention, Hartley & Marks Publishers, 1991
  5. W. Forth, D. Henschler, W. Rummel, K. Starke, Lehrbuch Pharmakologie und Toxikologie, 6. Auflage, BI Wissenschaftsverlag, 1992
  6. Silvia K. Müller, Umweltbedingungen in der Arztpraxis des 21.Jhr.-Besser für Arzt und Patient, www.csn-deutschland.de, Nov.2000
 
 
 
 
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